IHRE DATEN WERDEN VERARBEITET!

Sind Schamanismus, christliche Mystik und westliche Psychotherapie kompatibel ? 1996

Übereinstimmungen und Unterschiede aufgezeigt an konkreten Beispielen.

PDF download




Übereinstimmungen und Unterschiede aufgezeigt an konkreten Beispielen.

Zusammenfassung: Als ich mich das erste Mal intensiver mit Schamanismus befaßte, entdeckte ich verwundert, daß ich die wesentlichen Heilungspraktiken bereits seit vielen Jahren kannte und praktizierte: die Reise in die obere Welt ist Teil des Autogenen Trainings/ Oberstufe, die Reise zum Krafttier kannte ich vom NLP, Extraktion und Rückholung von Seelenteilen gehört zur täglichen Praxis eines Gestalttherapeuten. Während freilich der Schamane die Kräfte und Geister der anderen Welten als eigene Wesenheiten erlebt, bleibt der westliche Therapeut im (tiefen)psychologischen Bereich. Einerseits also ein großer Unterschied in der Theorie und auch in der konkreten Vorgehensweise (Heilung durch den Schamanen mit Hilfe gerufener Kräfte und durch die Naturgeister versus Heilung durch die Integrationsarbeit des Patienten), andererseits geht es um den selben Vorgang, bloß von verschiedenen Seiten betrachtet. Wie im Schamanismus sind auch in der christlichen Theologie "Mächte und Gewalten" und "Engel" als Boten Gottes eine Selbstverständlichkeit; ebenso werden göttliche Botschaften oft im Traum übermittelt. Die Sensitiven werden in der Bibel als Propheten oder als mit besonderen Charismen begabte Gemeindemitglieder bezeichnet. Spirituelle Heilungen werden nicht nur von Jesus erzählt, sondern auch von seiner Schülergruppe und waren für die ersten Christengemeinden geradezu ein Markenzeichen. Menschen, die auf ihre inneren Bilder und Stimmen horchen, sind freilich für Machthaber nicht so leicht zu führen. Und so hatten spirituell Begabte und Mystiker in der Kirche nie ein leichtes Leben. In Umkehrung der Frohen Botschaft wurden viele von ihnen ermordet. Während die meisten Psychotherapierichtungen die Ich-Findung und Ich-Stärkung sowie die seelische und körperliche Gesundung zum Ziel haben, geht es in der Mystik gerade um die Ich-Aufgabe, um das Aufgehen in der göttlichen Liebe. Das wiederum entspricht dem Vorgehen des Schamanen, der sich während der Heilungstätigkeit von seinem Ich löst und in den anderen Welten aufgeht.
Wer in der europäischen Antike nicht ordentlich griechisch sprechen konnte und dessen Sprache sich anhörte wie "Brr, brr", der wurde von den Griechen "Barbar" genannt. Wer nicht zum von Gott auserwählten Volk Israel gehörte, die nannte man ebenso etwas abschätzig: "Gojim". Die, die sich Jesuaner nannten, schockierten ihre jüdischen Landsleute mit der Geschichte, daß ausgerechnet drei dahergelaufene Magier / Schamanen aus fremden Kulturen auf Grund ihrer Horoskope den neugeborenen Sohn Gottes als erste begrüßten und Gold, Weihrauch und Myrrhe als Geschenke überreichten, wogegen die einheimischen Theologen und die Machthaber in der Hauptstadt keine Ahnung hatten. Matth 2 Gottes Geist, heißt ihre befreiende Botschaft, macht nicht halt an Grenzen von Völkern oder Religionen. Die ganze Welt und jeder Mensch zu allen Zeiten und auf allen Erdteilen ist von vornherein willkommen und bedingungslos angenommen hieß das "Euaggelion", die gute Botschaft. 
"DER GEIST WEHT, WO ER WILL." 
Diesen Satz aus der Heiligen Schrift der Christen (Joh 3) stelle ich an den Beginn meiner Ausführungen. "Ich gieße meinen Geist aus über alle Menschen. Dann werden eure Söhne und Töchter prophetisch begabt sein, eure Greise werden wahre Träume haben, eure Jungmänner Gesichte schauen." So der Prophet Joel 3

Einige Jahrhunderte später zog man das Schwert und eroberte im Namen Jesu ganze Erdteile. Schamanen wurden als Heiden bekämpft, sensible und naturkundige Frauen als Hexen verbrannt. Holger Kalweit berichtet, daß ausgerechnet durch die christliche Mission manche Schamanen ihre Heilkraft verloren haben und noch heute vertreten die christlichen Fundamentalisten: "Extra ecclesiam nulla salus" (außerhalb der Kirche kein Heil). So ist es zwar nicht meine Ansicht, aber verständlich, wenn der deutsche Liedermacher Konstantin Wecker singt: Wenn der Papst seinen Segen urbi et orbi (der Stadt Rom und dem Erdkreis) gibt, mache ich mich ganz klein, damit er mich nicht erwischt. Gingen große Teile der Kirche und der Kirchenleitung oft in die Irre und begingen furchtbare Verbrechen, so ließen sich viele andere in den Kirchen nicht drausbringen, in Jesus von Nazareth die fleischgewordene Liebe Gottes zu sehen, und zu verkünden, daß allen und allem vor und nach ihm Gottes Geist innewohnt.

Was heißt das?

Im Judentum und bei den meisten anderen Religionen herrschte die Auffassung vor, daß Gott im abgegrenzten Bereich des Sakralen, dem templum oder fanum wohne, demgegenüber die Welt als pro-fanum (vor dem Heiligtum) bezeichnet wurde. Diese Grenze zwischen himmlisch und irdisch, zwischen übernatürlich und natürlich wurde im Christentum aufgehoben. Ausgedrückt in dem Bild der heiligen Schrift, daß im Augenblick des Todes von Jesus der Vorhang des Tempels zerriß. (Luk 23) Bisher durfte nur der Hohepriester zum Allerheiligsten vordringen, und das nur an ganz bestimmten Tagen. Im Christentum wird hingegen die Welt selber als Ausdruck Gottes aufgefaßt, sodaß man das Göttliche in den Menschen und dem ganzen Kosmos finden kann - deutlich geworden durch die Menschwerdung/Weltwerdung Gottes. Zwischendurch möchte ich betonen, daß hier über Unaussprechliches gesprochen wird, über Wirklichkeiten, die per definitionem undefinierbar sind und eigentlich nur durch Negation ausgedrückt werden können. "Du sollst dir kein Schnitzbild machen!" heißt es im ersten Gebot der heiligen Schriften, die Juden und Christen gemeinsam sind (Ex 20). Da wir uns aber nur in Chiffren und Bildern verständigen können, müssen wir dies tun in dem Bewußtsein, daß sie in Wirklichkeit bestenfalls Annäherungen sind, aber nicht zutreffen.

1.) So wird also Gott einerseits als Person der Welt gegenüber aufgefaßt, aber andererseits als in der Natur, in der Welt, also auch in jedem Menschen erfahrbar. Als Lebensprinzip, die alles Sein durchströmende Energie, die Tiefendimension von allem, als der Seinsgrund.

2.) Man könnte sagen: als Zwischeninstanzen werden Mächte und Gewalten, Wesenheiten angenommen, die in der Bibel oft auch als Engel und Dämonen bezeichnet werden. Zusätzlich werden zu diesem Bereich auch die Seelen von Martyrern oder Heiligen gezählt, die gewissermaßen als greifbarere Repräsentanten des ungreifbaren Gottes kontaktiert werden können. Dies kommt der schamanischen Auffassung von den Naturkräften, Krafttieren und spirituellen Führern, die mit den Schutzengeln vergleichbar sind, sehr nahe. Tatanka-Ohitika, ein Medizinmann der Sioux, drückte es so aus: "In meinem Traum erschien einer dieser kleinen runden Steine und sagte mir, daß der Schöpfer von allem Wakan Tanka sei, ... doch weiß ich, daß ich zu unwürdig bin, um Wakan Tanka anzusprechen. Ich richte meine Bitten an die Steine und sie sind meine Fürsprecher." (In Eaton, Evelyn: Ich sende meine Stimme.- 1980, Mutter Erde V.)

3.) Psychologisch gesehen könnte man sowohl Gott wie diese Instanzen als Personifizierungen von Persönlichkeitsanteilen und nach Siegmund Freud als Projektionen bezeichnen. Der Deutsche Graf Dürckheim nennt sie "Spiegelungen des inneren Erlebens". Das ist keine Abwertung, weil in der Transzendenz als Erfahrung (nicht als theoretischem Konstrukt) der Mensch sich ja ohnehin als eins mit dem Wesen aller Dinge erfährt und also nur nach "außen" projiziert werden kann, was "innen" da ist.
Soweit kurzgefaßt meine Sichtweise. Im einzelnen:

1. Der Mystiker

redet weniger darüber, wie wir das jetzt gerade tun, sondern er erlebt es. Er erfährt zunehmend sein Ich aufgehoben in Gott, bis ihm das erwähnte Einssein von Gott und Welt in der eigenen Person zeitweise oder durchgehend als Erfahrung geschenkt ist. Paulus, einer der wichtigsten Nachfolger von Jesus: "Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir." Augustinus, von dem ich meinen Namen habe, sagt 400 Jahre später: "Unruhig ist unser Herz, bis es ruht in Dir, o Gott."
Der Weg zu diesem Ziel: Versenkung, Beten und Fasten.
Heilwerden der Schöpfung, der Gesellschaften und des einzelnen Menschen geschieht durch Einordnung in die göttliche Ordnung: metanoia = Umdenken/Umkehren, Hingabe und Vertrauen. Körperliche und psychische Heilungen, für die Jesus und die ersten Christengemeinden bekannt waren, sind oft eine Folge davon und ein Kennzeichen, daß das Reich Gottes da ist: Als Johannes, der Täufer, ein Vorläufer Jesu, im Gefängnis sitzt und zu zweifeln beginnt, läßt er eine Botschaft an ihn schicken: "Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?" Jesus antwortet ihm mit einer Weissagung des Jesaja aus der jüdischen Bibel: "Berichtet dem Johannes, was ihr hört und seht: Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören, Tote stehen auf und den Armen wird die frohe Kunde gebracht." (Matth 11)
Jesus hatte ja seine Schüler ausgeschickt, Kranke zu heilen und gab ihnen Macht über die Dämonen. (Luk 9) Schon im Alten Testament wird von Propheten und Königen gesagt, daß sie in Verzückung fielen, weil der Geist Gottes in sie gefahren war und aus ihnen redete. z.B. 1 Sam 19 Im Neuen Testament wird diese sensitive Begabung als charisma (göttliches Geschenk) gewürdigt. z.B. 1 Kor 12 Darin sehe ich die direkte Fortsetzung der ja viel älteren schamanischen Tradition, die allerdings in den meisten christlichen Kirchen heute kaum mehr gepflegt wird. Auch ich hatte früher nie daran gedacht, daß man Jesu Heilungstradition real fortführen könnte, obwohl es u.a. bei Matth 10 heißt.: " Heilt Kranke, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt böse Geister aus!" und bei Joh 14 sogar: " Wer an mich glaubt, der wird die Werke auch tun, die ich tue, und er wird noch größere als diese tun."
2. Der Schamane

Er ist der Medizinmann bei den, so heißt es im Westen, "Naturvölkern" oder "Primitivkulturen". Diese Bezeichnungen sind überheblich und entlarven unsere Gesellschaft zugleich: wie wenn unsere Völker nicht Teil der Natur wären! Andererseits werden diese Ausdrücke zurecht verwendet, weil die Verbindung zur Natur und zum Ursprünglichen dort noch ganz selbstverständlich erlebt wird, wohingegen wir schon sehr entfremdet sind. Wer täglich darauf angewiesen ist, daß er weiß, wie das Wetter wird, wo seine Herden Futter finden oder wo Tiere zu erjagen sind, der spürt die Ausgeliefertheit und erlebt die ihn umgebende Natur als Bedrohung und als Geschenk. Daß er vor ihr eine hohe Achtung hat und die dahinter liegenden Kräfte verehrt, ist eigentlich eine selbstverständliche Folge.Das aus Asien stammende Wort "Schamane" bedeutet u.a. auch "verrückt", weil er wie der Mystiker mit diesen dahinter liegenden Wirklichkeiten Kontakt aufnehmen kann, indem er vom Alltagsbewußtsein in einen anderen Bewußtseinszustand rücken kann (aber im Gegensatz zum bleibend Verrückten wieder zurückkommt.)

Der Schamane läßt sich von diesen Wesenheiten, die oft Geister oder Götter genannt werden, führen, wenn er für seinen Stamm oder einzelne Patienten Probleme lösen oder Krankheiten heilen soll.Der Weg zu diesem Ziel: Trance mit Hilfe von Trommeln oder anderen Instrumenten, manchmal unterstützt durch Halluzinogene, Schlafentzug, Fasten oder Schmerzen.

Die meisten Völker haben ausgefeilte Kosmogonien entwickelt und Beschreibungen dieser und der anderen Welten, die von Generation zu Generation weitergegeben werden. Sie enthalten die Weisheit und Erfahrung der Ahnen und konkrete Anleitungen, wie und mit welchen Ritualen man bei verschiedenen Problemlösungen vorzugehen hat.

Bei allen Ähnlichkeiten:

- Mystik selbst ist keine Heiltechnik und die meisten Mystiker nehmen die Kontakte mit Engeln und anderen Wesen nicht sehr wichtig oder nur als Hilfe zur direkten Gotteserfahrung.

- Bei manchen Völkern sind große Ängste festzustellen, sodaß laufend geopfert werden muß, um das Wohlwollen bestimmter Ahnen oder Geister zu erreichen. Wenn auch in der Geschichte des Christentums immer wieder aus der Frohbotschaft eine Drohbotschaft gemacht wurde: die ursprüngliche Lehre besagt, daß wir alle grundsätzlich erlöst sind, sodaß nicht die Abwehr von Unheil im Vordergrund steht, sondern der Lobpreis Gottes und der Dank für die Welt und das Leben.

- Eine weitere Unterscheidung besteht darin, daß im Christentum schwarze Magie in jedem Fall als Sünde betrachtet wird und sich gegen den Anwender selbst richtet.

- Sollten sich manche Schamanen als Herren und nicht als Diener der Geister und Kräfte verstehen, widerspricht das ebenfalls dem christlichen Verständnis (allerdings nicht immer dem real existierenden Christentum).
3. Der Psychotherapeut

Aus psychologischer Sicht könnte man schamanische Behandlung als Heilung in Trance mit Hilfe der Weisheit des Unbewußten bezeichnen. Bis ins Mittelalter hat sich die schamanische Heilungstradition auch in Europa als selbstverständlich erhalten. Heute wird dieses Zeitalter bezeichnenderweise "finster" genannt.
Die darauf folgende sogenannte "Aufklärung" sah im Menschen das Maß aller Dinge und wertete den menschlichen Verstand als oberstes Prinzip. Dies führte in unserer Kultur zu einem sehr hohen Grad an naturwissenschaftlicher, technischer und wirtschaftlicher Entwicklung. Allerdings zu einem sehr hohen Preis: nämlich der Abwertung der Gefühls- und Triebwelt und der spirituellen/religiösen Dimension des Menschen, die in unseren Tagen zu einer gewaltigen Sinnleere in den Industriegesellschaften führte. Der zweite hohe Preis war die imperialistische Unterwerfung und wirtschaftliche Ausbeutung der anderen Völker und Kulturen und der natürlichen Ressourcen. Wer einen faszinierenden Roman über die Parallelen der Unterdrückung von Seelenteilen und von sozialen Schichten lesen möchte, dem sei das Buch "Der Zauberbaum" von Peter Sloterdijk, einem deutschen Philosophen, empfohlen. Er spielt zur Zeit vor der französischen Revolution, wo Mesmer sein magnetistisches Heilverfahren entwickelte.
Das Unbewußte wieder salonfähig gemacht hat Siegmund Freud, der unter großen Widerständen in dieser Stadt seine Psychoanalyse entwickelt hat. Allerdings sah er im Unbewußten vorwiegend die Wurzel von Krankheiten und Störungen.
Die zweite große Psychotherapierichtung, die Verhaltenstherapie, entspricht wieder der digitalen Linie: streng behavioristisch ging es zumindest ursprünglich um die nüchterne Analyse der Kontingenzen von Symptomen.
In der dritten psychotherapeutischen Hauptrichtung, der sogenannten humanistischen Psychologie, wird das Unbewußte als unerschöpfliches Potential des Menschen aufgefaßt, als die Fülle der Weisheit, die jeder in sich trägt und die schrittweise gehoben werden kann.
In einer vierten Hauptrichtung, der systemischen Therapie, wird eher wieder nüchtern die Funktion der Krankheit einer Person in dem Beziehungsgefüge gesehen, in dem sie lebt oder gelebt hat. Insoweit sie aber auch die Vorfahren miteinbezieht, wie dies der deutsche Kollege Bert Hellinger tut, gibt es de facto große Ähnlichkeiten zur schamanischen Sichtweise.

Am direktesten zur schamanischen und christlichen Heilungsauffassung paßt die in den letzten Jahren entstandene Richtung der Transpersonalen Psychologie, wo vorwiegend in anderen Bewußtseinszuständen geheilt wird - meist allerdings nur des Klienten. Gewissermaßen frühe Vorläufer davon waren der österreichische Antroposoph Rudolf Steiner und vor allem der Schweizer C.G. Jung, einer der berühmten Schüler Freud's.

Als ich schamanische Heilungsformen und Auffassungen kennen lernte, war ich fasziniert von der Tatsache, daß ich die meisten Verfahren bereits aus der Psychotherapie kannte und seit vielen Jahren praktizierte, ohne um ihren schamanischen Ursprung zu wissen. Daß die westliche Psychotherapie (ähnlich wie das Christentum) von vielen schamanischen Elementen durchdrungen ist, erklärt sich auch dadurch, daß viele Gründer und Vertreter von Therapierichtungen, wie Perls, Jung, usw. nicht nur über andere Kulturen gelesen haben, sondern auch durch persönliche Kontakte beeinflußt wurden.
Inzwischen hat diese Sichtweise auch in der westlichen Kultur weit um sich gegriffen, nicht mehr so sehr getragen von den großen Religionen, sondern von der New Age Bewegung, sodaß auch Popsänger wie Sting texten: "Let Your Soul gide You alone the way!"
Der Hauptunterschied zwischen den meisten Psychotherapierichtungen und schamanischer Heilbehandlung ist, daß die helfenden Elemente im einen Fall als Persönlichkeitsanteile, im anderen als Geistwesen außerhalb der eigenen Person gesehen werden. Ich behaupte trotzdem, daß es sich um dieselben Vorgänge handelt, obwohl die theoretischen Erklärungen, wie auch die Rituale und die dazu gehörigen Vorstellungsbilder sehr verschieden sind: in dem Sinn, wie man dieselben Inhalte
in gänzlich verschiedenen Sprachen ausdrücken kann:
Z.B. entspricht m.E. die schamanische Seelenteilrückholung der gestaltischen Reintegration abgespaltener Persönlichkeitsanteile: Während der Schamane in das Land reist, wo die Seelen sind, mit den eventuellen Besetzern verhandelt und den - vielleicht bei einem Schock verlorengegangenen - Seelenteil fragt, ob er nicht wieder zurückkehren möchte, und ihn dann zurückbringt, stellt sich der Patient in der Gestalttherapie den abgespaltenen, meist ungeliebten Persönlichkeitsanteil als Gegenüber vor und redet mit ihm, bis er ihn integrieren kann. Oder in einer psychoanalytischen Behandlung erlebt der Klient das alte Trauma nochmals durch, wodurch die damals gebundenen Energien wieder frei werden und zur Verfügung stehen.
Z.B. ob ein Verstorbener einen Lebenden besetzt, ihm die Seele raubt oder ihn in den Tod lockt, oder ob der Lebende ihm aus Liebe in Krankheit oder in den Tod folgt, ist m.E. nur eine Frage des Standpunktes: In der Familienaufstellung nach Bert Hellinger wird die (bewußte oder unbewußte) Liebe z.B. zu einem ausgeschlossenen, abgewerteten Vorfahren auf produktivere Weise ausgedrückt: das Schicksal des Ahnen wird gewürdigt und ihm zu Liebe und zur Ehre das Leben in seiner Fülle angenommen.
Z.B. ist die Reise zum spirituellen Führer Teil der Oberstufe des Autogenen Trainings.
Z.B. entspricht etwa das Stein-Orakel den projektiven Verfahren in der Psychologie: Werden im Schamanischen die Erfahrungen als Rückmeldungen z.B. eines Steines aufgefaßt, werden diese in den projektiven Tests als Projektionen des Klienten aufgefaßt, die ihm anläßlich des Steines bewußt werden.
Z.B. werden im Katathymen Bilderleben oder in der Traumarbeit verschiedener Richtungen die aufsteigenden Bilder als Ausdruck des momentanen Seelenzustandes aufgefaßt, die Hinweise auf den Heilungsweg geben. Auch Schamanen erhalten durch die Erfahrungen auf ihren Reisen oder durch Träume konkrete Informationen über Diagnose und Heilbehandlung des Patienten.
Vergleicht man die Psychotherapie mit der christlichen Mystik,

die ja keine Heilbehandlungsform ist, aber oft heilende Vorgänge auslöst, so geht es in den meisten Psychotherapierichtungen um Ich-Stärkung. "Wo ES war, soll ICH werden." sagt Freud. In der Mystik hingegen geht es um Ich-Aufhebung und Hingabe, mystisch mit dem Seinsgrund zu verschmelzen. Ziel ist die "unio mystica". Aber auch das ist m.E. kompatibel. Ich kann ja nur hergeben, was ich habe. In manchen spirituellen Kreisen wird dieser Weg der Ich-Findung und -Heilung übersprungen, was zu ähnlichen Phänomenen führt, wie wir sie von Drogenabhängigen kennen, die in anderen Welten schweben und den Boden unter den Füßen verloren haben. "Gratia supponit naturam", der alte kirchliche Grundsatz, daß die Gnade die Natur als Grundlage braucht, gilt natürlich auch hier. 
Andererseits vom Psychotherapeuten zu verlangen, er sollte der spirituelle Führer von heute sein, ist eine Überforderung des Therapeuten - außer er hat beide Berufungen.

Wird bei mehreren Psychotherapierichtungen das Unbewußte und seine Weisheit - neben Therapeuten und Klienten - als therapeutisches Tertium angesehen (v.a. in den humanistischen Richtungen), wird in der christlichen Heiltradition im Namen Jesu geheilt (z.B. auch Johann Gaßner im 18.Jhd.) und Gottes Heiliger Geist als Therapeuticum angesehen. Geht man davon aus, daß Seine göttliche Majestät im Innersten der Seelenburg jedes Menschen wohnt, wie es die Mystikerin Theresa von Avila gesehen und 1577 beschrieben hat, dann beschränkt sich der Unterschied vorwiegend auf unterschiedliche Beschreibungen der selben Vorgänge.

Zusammenfassend:

Seit vielen Jahrtausenden geht es um die Frage: WIE WERDEN WIR HEIL UND GANZ ? 
So verschieden schamanische und psychotherapeutische Heilungsvorgänge durchgeführt und verstanden werden, so passen sie doch m.E. gut zusammen, ergänzen einander und sind teilweise das Gleiche in verschiedenen Kleidern. Christliche Mystik hat mit dem Schamanismus und der Transpersonalen Psychologie gemeinsam, daß die mit den Sinnen wahrnehmbare Welt nur einen Teil der Wirklichkeit darstellt, sozusagen die materielle Seite einer nicht materiellen Wirklichkeit, die von vielen als die eigentliche bezeichnet wird. 
In jedem Fall ist die Bereitschaft, sich von dieser führen zu lassen eine Heilungsvoraussetzung - in der christlichen Diktion: "Dein Glaube hat Dich gerettet." z.B. Luk 19
"Die Hindernisse sind verschwunden, wenn Menschen auf höheren geistigen Ebenen zusammenkommen können." Rolling Thunder, ein großer indianischer Medizinmann (in: Boyd, Doug: Rolling Thunder)

Um zum Anfang meines Referates zurückzukehren: Die großen Religionen, die in unserer Kultur nun seit vielen Jahrhunderten dieses spirituelle Erbe verwalten, haben durch ihre Bürokratisierung und Verknöcherung sehr an Einfluß verloren. Eugen Drewermann, ein katholischer Theologe aus Deutschland, der von der Kirchenleitung wegen seiner aufgeschlossenen Linie entlassen wurde, zitiert in seinem Buch "Glauben in Freiheit - Untertitel: Tiefenpsychologie und Dogmatik" den deutschen Kabarettisten Hanns Dieter Hüsch.

Anfang Oktober 1992, am Ende eines Fernsehabends, gab der Kabarettist HANNS DIETER HÜSCH die folgende Geschichte zum besten:

"Als die Nachricht um die Erde lief
Gott sei aus der Kirche ausgetreten
Wollten viele das nicht glauben
Lüge Propaganda und Legende
Sagten sie
Bis die Oberen und Mächtigen der
Kirche sich erklärten
Und in einem sogenannten Hirtenbrief folgendes erzählten:
Wir die Kirche haben Gott dem Herrn
In aller Freundschaft nahegelegt
Doch das Weite aufzusuchen
Aus der Kirche auszutreten
Und gleich alles mitzunehmen
Was die Kirche immer schon gestört:
Nämlich seine wolkenlose Musikalität
Seine Leichtigkeit
Und vor allem Liebe Hoffnung und Geduld
Seine alte Krankheit
Alle Menschen gleich zu lieben
Seine Nachsicht seine fassungslose Milde
Seine gottverdammte Art und Weise
Alles zu verzeihen und zu helfen
Sogar denen, die ihn stets verspottet
Großzügig bis zur Selbstaufgabe
Seine Heiterkeit seine Komik
Sein utopisches Gehabe
Seine Vorliebe für die, die gar nicht an ihn glauben
Seine Virtuosität des Geistes überall und allenthalben
Auch sein Harmoniekonzept bis zur Meinungslosigkeit
Seine unberechenbare Größe
Und vor allen seine Anarchie des Herzens und so weiter
Darum haben wir, die Kirche,
Ihn und seine große Güte unter Hausarrest gestellt
Äußerst weit entlegen
Daß er keinen Unsinn macht
Und fast kaum zu finden ist.

Viele Menschen
Als sie davon hörten
Sagten
Ist doch gar nicht möglich
Kirche ohne Gott
Gott ist doch die Kirche
Ist doch eigentlich gar nicht möglich
Gott ist doch die Liebe
Und die Kirche ist die Macht
Und es heißt die Macht der Liebe
Andere sprachen
Auch nicht schlecht
Kirche ohne Gott
Warum nicht Kirche ohne Gott
Ist doch gar nichts Neues
Gott kann sowieso nichts machen
Heute läuft doch alles anders
Gott ist out
War als Werbeträger nicht mehr zu gebrauchen
Und die Kirche hat zur richtigen Zeit
Das Steuer rumgeworfen
Kirche ohne Gott, das ist der Slogan

Doch den größten Teil der Menschen
Sah man hin und her durch alle Kontinente ziehen
Und die Menschen sagten:
Gott sei dank
Endlich ist ER frei
Kommt
Wir suchen ihn."
Im Gegensatz zu Hüsch bin ich davon überzeugt, daß Gott gerade auf Grund seiner großen Güte und fassungslosen Milde die Kirchen nicht verlassen hat. Und: warum sollte die Kirche als Ansammlung von Menschen weniger fehlerhaft sein als der einzelne Mensch?

Der Geist weht, wo er will. Und ich bin davon überzeugt, daß die Wirklichkeit, die wir den Großen Geist, Chi oder Prana oder Pneuma, den Heiligen Geist Gottes nennen, das eigentliche Agens jeder Heilung ist, ob sie nach westlicher Medizin, psychotherapeutisch, christlich oder schamanisch erfolgt.

Wie es in einem Spruch des griechischen Orakels in Delphi heißt - vor mehr als 2000 Jahren -, den sich C.G. Jung über seinen Türstock meißeln ließ: "Vocatus atque non vocatus deus aderit." - Gerufen und nicht gerufen: Gott wird da sein.

August Thalhamer, Wien, im Juli 1996
Dieses Referat wurde gehalten beim 1. Weltkongreß für Psychotherapie "THE WORLD OF PSYCHOTHERAPY".