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Wie kompatibel sind Christentum und Schamanische Praxis? 2015

Wir alle haben Lebensreserven, von denen wir nur träumen können (William James)

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There are more things in heaven and earth, Horatio, 
Than are dreamt of in your philosophy. William Shakespeare ( † 1616) Dramatiker, Lyriker und Schauspieler 



Wie kompatibel sind Christentum und Schamanische Praxis?
Quanto è compatible il cristianesimo con la prassi sciamana?
 
Die Heilungen in der Bibel: nur eine Metapher?


 „Heilt Kranke,
weckt Tote auf,
macht Aussätzige rein,
treibt böse Geister aus!“

 


Im Priesterseminar Linz, an einem Sonntag im Jahr 1963, wird gerade aus dem Evangelium (Matth. 10) vorgelesen. So hatte Jesus die Zwölf hinausgeschickt zu verkünden: „Das Himmelreich ist nahe!“
Wir Studenten hören es und denken an unsere Berufung, in die Welt hinauszugehen. Aber keiner denkt dabei z.B. auch an reale körperliche Heilungen. Auch die Professoren nicht. Wir fühlen uns nicht gemeint. Schon gar nicht, wenn Jesus (Joh 14,12) sagt:

 

 

"Wer an mich glaubt,
der wird die Werke auch tun, die ich tue,
und er wird noch größere als diese tun."


 
Ich wurde ganz aufgeregt, als ich zwanzig Jahre nach meinem Theologiestudium überlegte, ob dieser Auftrag zu heilen und die "Vollmacht über alle Dämonen und Krankheiten zu heilen", nicht doch wörtlich zu nehmen sei. Als Psychotherapeut hatte ich bereits eine Menge unglaublicher psychischer und körperlicher Verwandlungen miterleben dürfen.
 
Die Wissenschaft hat nur ein eingeschränktes Weltbild

 

Wir sehen,
was wir glauben,

nicht umgekehrt.
Und um das zu verändern, was wir sehen,

müssen wir manchmal das verändern,

was wir glauben.

Jeremy Narby, Anthropologe

Als bei meinem zweiten Studium der Leiter des Psychologischen Instituts Prof. Hans Bender (er hatte den ersten Lehrstuhl für Grenzgebiete der Psychologie in Deutschland) zu einem Gastvortrag eingeladen hatte, stellte er ihn uns Studenten wie folgt vor: „Ich freue mich, dass Prof. Bender zu uns gekommen ist. Er wird über etwas reden, was es gar nicht gibt.“ Aber immerhin hat er ihn eingeladen.
 
Manche Naturwissenschafter schauen hingegen verächtlich auf alles, was man noch nicht erklären kann. Sie merken gar nicht, dass sie einer Ideologie aufsitzen und nicht über ihren engen rationalistischen und materialistischen Denkrahmen hinauskommen.
 
Sogar die Forschung wird behindert, wie ich es gerade selbst erlebe: Epilepsie wird in einer Reihe von Stammeskulturen als mögliche Initiationskrankheit gesehen, wobei bei manchen PatientInnen die großen Anfälle aufhören, wenn sie ihrer Heilberufung folgen. Weil ich das auch in unserer Kultur schon erlebt habe, fand ich es interessant, empirisch überprüfen zu lassen, ob auch bei uns ein paar Prozent der EpileptikerInnen dann ohne Medikamente (und Nebenwirkungen) anfallfrei leben könnten. Aber kein österr. Universitätsinstitut traute sich bisher dieses „esoterische Thema“ zu erforschen.
 
Trotz vieler empirischer Befunde über die Wirksamkeit, werden Psychotherapeuten in Österreich, die sowohl psychotherapeutische wie spirituelle und religiöse Heilmethoden anbieten, nach einer neuen Richtlinie des Gesundheitsministeriums mit hohen Strafen und Berufsverbot bedroht. Diese dürfen nur mehr – ohne Verlinkung - auf einer eigenen Homepage veröffentlicht werden, wo nicht angegeben werden darf, dass man Psychotherapeut ist.
 
Es ist interessant, dass sich aber in unserer rationalistischen und auf schnellen Gewinn ausgerichteten Gesellschaft immer mehr Menschen nach dem Sinn des Ganzen fragen und wieder spirituelle Erfahrungen suchen.

 

Ideologie ist Ordnung
auf Kosten des Weiterdenkens

Friedrich Dürrenmatt († 1990)
Schriftsteller, Dramatiker und Maler  

 
Außerhalb der Kirche kein Heil?
 
Es hat Tradition in der Kirche, alles, was nicht aus eigener Provenienz stammt, abzuwerten oder als teuflisch zu verurteilen. (Vgl. Apg 8, 5 ff , 13,6 ff oder 16,16 ff) Aufbauend auf den Lehren des energischen Kirchenvaters Tertullian (+ ca. 220) prägte Cyprian von Karthago (+ 258 ) den verhängnisvollen Satz: "Extra ecclesiam salus non est. (Außerhalb der Kirche gibt es kein Heil.) Unter "Heil“ verstand er vor allem die rechte Lehre und rechtmäßige Sakramente, was nur innerhalb der mit dem rechtmäßigen Bischof verbundenen Gemeinde zu finden wäre. Der Satz wurde freilich bald als das "Seelenheil" des Menschen betreffend verstanden und erst beim 2. Vatikanischen Konzil (1962 bis 1965) zurückgenommen.

 

 

In Verbindung mit dem Missionsbefehl aus dem Matthäus-Evangelium 28,19f „Geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe" hatte er verheerende Folgen. Ganz abgesehen davon, dass es wie bei der "Evangelisierung" Lateinamerikas vor allem um Mehrung von Besitz und Macht ging, strömten nun mutige Missionare aus, die verlorenen Seelen zu retten.

Wollten sich die Heiden aber nicht retten lassen, sondern bei ihrer bisherigen Weltanschauung und ihrer Form zu glauben bleiben, setzte man nicht selten Gewalt ein, um aus den "Wilden" "ordentliche Christenmenschen" zu machen - oft in guter Absicht, ähnlich wie man einen Selbstmörder massiv zurückhält, um ihn vor dem Tod zu retten. Und aus dieser Doktrin heraus ging es ja um die Rettung vor dem ewigen Tod! Da fand man Gewalt schon angemessen.

Die seriösen unter den "Gottesmännern" suchten also Gott in alle Welt zu bringen, damit die fremden Völker gerettet würden. Sie waren in der Regel gar nicht auf die Idee gekommen, dass Gott schon längst dort sein könnte und - wenn auch unter anderen Namen und mit unbekannten Riten - dort längst verehrt wurde. So konnten sie ihn auch nicht entdecken und die fremden Formen seiner Verehrung würdigen.

 

Im Zentrum unseres Seins

ist ein Ort des reinen Lichts,

unberührt von Sünde
oder täuschenden Vorstellungen.

Thomas Merton,Trappist und Mystiker († 1968)

 
Der Geist weht, wo er will
 
Dabei hatten einst, die sich Jesuaner nannten, ihre jüdischen Landsleute mit der Geschichte schockiert, dass ausgerechnet drei dahergelaufene Magier (Schamanen?) aus fremden Kulturen auf Grund ihrer Horoskope den neugeborenen Sohn Gottes als erste begrüßten und Gold, Weihrauch und Myrrhe als Geschenke überreichten, wogegen die einheimischen Theologen und die Machthaber in der Hauptstadt keine Ahnung hatten. (Matth 2) Gottes Geist, heißt ihre befreiende Botschaft, macht nicht halt an Grenzen von Völkern oder Religionen. Die ganze Welt und jeder Mensch zu allen Zeiten und auf allen Erdteilen ist von vornherein willkommen und bedingungslos angenommen, hieß das "Euangelion", die gute Botschaft.


"Ich gieße meinen Geist aus über alle Menschen.
Dann werden eure Söhne und Töchter prophetisch begabt sein,
eure Greise werden wahre Träume haben,
eure Jungmänner Gesichte schauen"
 
heißt es schon beim Propheten Joel 3.
 
 
Die älteste Weltanschauung
 
Auf diese himmlischen Ressourcen griffen aber schon die Vorgänger der Propheten zurück. Schamanismus ist die Basis aller späteren Hochreligionen, auch des Judentums und Christentums - an Alter mit seinen mehr als 30.000 Jahren allen anderen an Erfahrung voraus.
Wie von den späteren Religionen übernommen, geht man von einem Schöpfergott aus, der alles Existierende ins Leben ruft und am Leben erhält. Und von Wesenheiten, die zwischen Gott und der Welt vermitteln. In den späteren Hochreligionen werden diese Geistwesen oft als "Engel" bezeichnet, was wörtlich "Botschafter" bedeutet, also Kommunikatoren zwischen dem unfassbaren Urgrund des Seins und dem Menschen. 
 
Ob Schamanismus eine Religion ist oder nicht, darüber ist man sich nicht einig. Meist wird er als Teil des "Animismus" (weil alles Existierende als beseelt aufgefasst wird) oder unter "Naturreligion" geführt. Auf  jeden Fall ist "re-ligio", die Rückverbindung des Irdischen mit dem Übernatürlichen, zentral in der schamanischen Weltanschauung und Praxis. Allerdings fehlt eine Institution mit Leitung etc. Aber es gibt eine Nähe zur späteren Mystik der Hochreligionen: die Reduktion von Denken und Wollen, die Einübung des Loslassens und der Hingabe, kurz der Hintanstellung des Ego macht den Schamanen zum Vorläufer und wohl auch zum Vorbild der späteren Propheten, Gottesmänner und Mystikerinnen.
Was Schamanismus und die jüngeren Religionen eint, ist die jeweilige Basis: die mystische Erfahrung, die freilich in den monotheistischen Religionen zunehmend an den Rand gedrängt wurde.
 
„Die Hochreligionen haben zwischen den Menschen und seine unmittelbare Gotteserfahrung die heiligen Bücher geschoben“ sagte der Philosoph und Religionswissenschaftler Arnold Keyserling († 2005).
 
Was die MystikerInnen immer wieder betonten, mit Hinweis darauf, dass wir – aus Gott hervorgegangen – Kinder Gottes sind, wurde theologisch nie bestritten, aber nie wirklich ernst genommen wurde (für die kirchlichen Herrscher war es bequemer, ihren Untertanen einzureden, dass sie Sünder seien).


Meister Eckhart (†1328) drückt es z.B. so aus:
 
„Der Same Gottes ist in uns.
Hätte er einen guten, weisen und fleißigen Ackerer,
so würde er umso besser gedeihen
und wüchse auf zu Gott, dessen Same er ist,
und die Frucht würde gleich der Natur Gottes.
Birnbaums Same erwächst zum Birnbaum,
Nussbaums Same zum Nussbaum,
Same Gottes zu Gott.“
 
 
Visionen
 
Paulus fordert uns auf (1 Kor. 14,1ff.):
 
 „Strebt aber auch nach den Geistesgaben,
vor allem nach der prophetischen Rede!
Denn wer in Zungen redet, redet nicht zu Menschen, sondern zu Gott;
keiner versteht ihn: Im Geist redet er geheimnisvolle Dinge.
Wer aber prophetisch redet, redet zu Menschen: Er baut auf, ermutigt, spendet Trost.
Wer in Zungen redet, erbaut sich selbst;
wer aber prophetisch redet, baut die Gemeinde auf.“
 
Und so ist es angebracht, in der Tradition des Dionysius Areopagita (ca. † 500), der sich viel mit der Frage der Gotteserkenntnis beschäftigte, seinen Glauben sowohl kataphatisch (heute würde man sagen: exoterisch) auszuüben, also von der biblischen Tradition ausgehend, Riten und Worte verwendend, sich denkend Gott anzunähern, als auch apophatisch (esoterisch), indem man in die Stille geht und sich öffnet im Wissen, dass Gott weder erkannt noch ausgesprochen werden kann. Die MystikerInnen sind überwiegend jeweils den zweiten Weg gegangen und beschreiben ganz ähnliche Erfahrungen wie spirituelle Menschen anderer Religionen oder wie sie von SchamanInnen berichtet werden.
 
Für mich ein Hinweis darauf, dass das Herz aller Religionen eins ist, wie es der Dalai Lama 1997 formulierte.
 
SchamanInnen und religiöse Menschen verbindet diese Ehrfurcht vor dem Mysterium, das Wissen um seine Unfassbarkeit und die durch Zurücksetzung des Egos gemachte Erfahrung dieser unglaublichen Realität, die sich Dionysius Areopagita († 6.Jh.) zufolge nur jenen zeigt, „die ihre Augen zu schließen wissen“ und eintreten in die „überhelle Dunkelheit des Schweigens“:


 „Lasst die Sinne und das Wirken des Verstandes hinter euch,
so dass ihr durch Nichtwissen zu ihm gelangt,
der über alles Sein und alles Wissen hinausreicht.“
 
 
Der Schamane
 
Das Wort kommt aus dem Tungusischen, es ist auch dort ein Fremdwort, kommt wahrscheinlich aus dem Sanskrit und bedeutet "der Erregte, Bewegte, Feurige" -  die exakte Bedeutung ist nicht eindeutig eruierbar. Es wurde von den Anthropologen als Begriff für alle Heiler in den Stammeskulturen eingeführt, die in Trance mit Hilfe von Geistwesen im Dienst der Gemeinschaft Probleme lösen. Eine gute Einführung findet sich in  Mircea ELIADE's "Schamanismus und archaische Ekstasetechnik". Sie haben auch priesterliche Funktionen, die an den Schnittstellen des Lebens wie Geburt, Erwachsenwerden, Heirat und Tod auf den Plan treten; sie sind Propheten und Schicksalskundige, geistliche Führer und Berater des Häuptlings und des Stammes. Sie beschwören Jagdglück, Wetter und die Fruchtbarkeit der Erde und begleiten ihr Volk durch die Jahreszeiten-Rituale. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, die Verbindung ihres Volkes mit der übrigen Natur und den transzendentalen Welten aufrecht und in Harmonie zu halten.
 
Alle späteren Hochreligionen haben viele schamanische Elemente von ihren Vorfahren übernommen, deren wichtigstes wohl ist, dass es außer der mit den Sinnen wahrnehmbaren Welt auch noch andere gibt, etwas, was darüber hinausgeht, diese transzendiert.
 
So ist die schamanische Grundannahme, dass es außer der mit den Sinnen wahrnehmbaren Realität noch eine übernatürliche Welt resp. eine andere Dimension unserer irdischen Wirklichkeit gibt, auch bei uns allen religiös Sozialisierten vertraut. 
 
Schon fremder ist unserer Kultur die Vorstellung des Schamanen, dass alles Existierende mit allem anderen in Verbindung steht und der ganze Kosmos gewissermaßen als ein Organismus gesehen wird.
 
„Sein Anliegen ist nicht nur das erkrankte Individuum, sondern die Störung in der ganzen Gruppe, das ökologische Gleichgewicht, in dem die primitive Gesellschaft mit ihrer Umwelt leben muss. Gemessen an solchen Gleichgewichtskriterien, sind uns die schamanistischen Kulturen weit überlegen“
schreibt der Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer.
 
Noch befremdlicher ist, dass man sich schamanisch alle Elemente der Natur als lebendig und beseelt vorstellt, auch die anorganische Materie, weshalb diese Denktradition auch als "Animismus" bezeichnet wird.
 
Aber unserem abendländischen Denken seit Jahrhunderten völlig fremd ist, dass man diese Verbindung zu den übrigen Teilen der Natur auch nützen kann, um mit ihnen zu kommunizieren - was üblicherweise in Trance geschieht. Obwohl veränderte Bewusstheitszustände in einer Reihe der anerkannten Psychotherapierichtungen geschätzt und zur Heilung genützt und solche Erfahrungen auch den christlichen MystikerInnen vertraut sind, geht das doch vielen zu weit, weil es nicht in den aktuellen naturwissenschaftlichen Denkrahmen passt.
 
Schamanen sind also Mittler und Wanderer zwischen den Welten, gemäß dem Bild des Weltenbaums oder der Weltenachse, das in vielen Kulturen verbreitet ist: Von den drei Hauptteilen des Baumes, Wurzel, Stamm und Krone, stellt der Stamm die Welt dar, die wir mit unseren Sinnen im Wachzustand wahrnehmen. Darum wird unsere Alltagswirklichkeit schamanisch oft auch als „die mittlere Welt“ bezeichnet, wobei man sich die anderen Dimensionen als die obere und die untere Welt vorstellt.
 
Es ist klar, warum Vertreter anderer Kulturen überhaupt nicht verstehen können, dass viele in unserer (wie wir sie bezeichnen) hochzivilisierten Gesellschaft die sichtbare Welt als einzig existierende ansehen. Ob wir denn nicht wüssten, dass der Stamm alleine nicht leben könnte!
 
"Es unterliegt keinem Zweifel, dass in diesem geschichtlichen Augenblick die westliche Kultur schwer erkrankt ist,"
sagt der Soziologe und Literaturwissenschafter Malidoma Patrice SOMÉ aus Afrika.
 
Der amerikanische Psychologe und Philosoph William James († 1910) glaubte, der normale Mensch sei nur halb wach und ähnle einem Hysteriker, dessen Wahrnehmungsfeld stark eingeengt ist und der nur in einem sehr begrenzten Ausschnitt seines ganzen Wesens lebt:


 „Wir alle haben Lebensreserven, von denen wir nur träumen können.“
 
 
Wie heilt ein Schamane?
 
Zur Lösung von Problemen oder zur Heilung von Krankheiten wird nicht nur  - wie in unserer Kultur fast ausschließlich - der Verstand und das Gespräch genützt, sondern im Gegenteil das Denken reduziert, das Ego und die eigenen Wünsche und Absichten zurückgestellt: Man geht in einen Trancezustand und erhält so Antworten auf Fragen von seinen Geistführern und Schutzgeistern - als Psychologe würde ich sagen: aus der Fülle und Weisheit des Unbewussten. So wie dies auch in mehreren bei uns üblichen Psychotherapierichtungen praktiziert wird, z.B. in der Hypnotherapie oder anderen Richtungen der "Humanistsichen Psychologie" oder der „Transpersonalen Psychotherapie“.
 
Die Schamanin redet aber nicht vom Unbewussten, sondern erlebt diese Ressourcen außerhalb von sich: in mächtigen guten Geistwesen (Engeln, Ahnen ...), von denen sie sich belehren und führen lässt. Wenn ich z.B. ein schamanisches Heilritual mache, schließe ich zunächst die Augen. Da ich seit über fünfzig Jahren meditiere, sehe ich dann in bildhafter Form, wie in einem Traum, was das Problem des Patienten ist und - unterrichtet und geführt von meinen Geistführern und Instanzen in der anderen Welt - kann ich meist in das Bild eingreifen und es verändern, woraufhin sich oft die Symptome auflösen. Nicht immer, sonst wäre wir ja allmächtig.
 
Die Fähigkeit des Schamanen besteht also nicht darin, dass er heilen kann - er selbst macht es ja gar nicht, er ist ja nur das Instrument dazu –  sondern in seiner Fähigkeit, seine Interessen und Absichten zurückzustellen und sich führen zu lassen.

 

Das Unbewusste ist viel weiser als das bewusste Denken.

Milton H. Erickson († 1980)
Psychiater, Psychologe und Psychotherapeut, Begründer der modernen Hypnotherapie

 

 

 

Wie heilte Jesus?
 
Vergleicht man dies mit der Heilpraxis von Jesus, wie sie in der Heiligen Schrift berichtet wird, stellt man fest, dass er weder aus der unbewussten Weisheit noch mit Hilfe von Engeln die Kranken behandelt, sondern aus der Verbundenheit mit Gott heraus: "Ich und der Vater sind eins."
Insofern sieht Jesus diese unendliche, unfassbare Ressource nicht nur außerhalb von sich als „Vater“, sondern eben auch in sich.
Offensichtlich, um in diesem Bewusstsein zu bleiben, zieht er sich immer wieder in die Einsamkeit zurück, um zu beten  - was er zusammen mit Fasten auch für die Behandlung besonders schwieriger Fälle empfiehlt.
Aus diesem Einssein mit dem Vater heraus berührt er den Patienten, macht ein kleines Ritual oder eine Fernheilung für Abwesende. Der Beitrag des Patienten besteht in der Hingabe, im Vertrauen: "Dein Glaube hat Dir geholfen."

 
Wird nun geheilt mit Hilfe des Unbewussten, der guten Geister oder Gottes?

 

Im Zentrum unseres
Seins
ist ein Ort des reinen Lichts,

unberührt von Sünde
oder täuschenden Vorstellungen.

Thomas Merton († 1968)Trappist und Mystiker

Könnte es sein, dass das nur drei verschiedene Erklärungen für das selbe sind? Wie drei Sprachen mit unterschiedlichen Traditionen und äußeren Formen?
 
Ich fühle mich als Theologe, Psychologe und Schamane in allen drei Feldern beheimatet und biete sowohl psychotherapeutische wie christliche und schamanische Heilbehandlungen an. Bemerkenswerterweise stelle ich keinen Unterschied in der Wirkung fest, ob ich z.B. als Gestalttherapeut etwa abgespaltene Persönlichkeitsanteile zu reintegrieren helfe oder als Schamane verlorene Seelenteile zurückhole.
 
Ich überlasse es den KlientInnen, ob sie sich der psychologischen oder der schamanischen oder einer religiösen Sprache und Bilderwelt bedienen wollen. Meiner Erfahrung nach macht es für die Wirkung wie gesagt ohnehin keinen Unterschied.
 
Vielleicht ist der Streit, wer im Besitz der Wahrheit ist, ohnehin lächerlich. "An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen. Erntet man etwa von Dornen Trauben oder von Disteln Feigen?“ sagt Jesus (Math 7,16). Das Wort "Wirklichkeit" bedeutet ohnehin nicht "Wahrheit", sondern offensichtlich etwas, das wirkt. Und das ist für mich als professionellen Problemlöser das Entscheidende.
 
Durch die Begegnung mit anderen Kulturen und Weltanschauungen entdeckt man oft wieder neu, welche Schätze es in der eigenen Richtung gibt. So sind schon mehrere TeilnehmerInnen nach einem schamanischen (!) Seminar wieder in die Kirche eingetreten oder haben begonnen, wieder ihren israelitischen Glauben zu praktizieren.

 

Die Säkularisierung
hat weniger die Funktion eines Filters,
der Traditionsgehalte ausscheidet,
als die eines Transformators,
der den Strom der Tradition umwandelt.

Jürgen Habermas,
Philosoph und Soziologe, Vertreter der "Kritischen Theorie“

 


Referat beim Symposion Engel, Propheten, Mystiker, Medien – Wie real ist der Himmel? 
2. – 4. Oktober 2015 im Priesterseminar Brixen/ Südtirol

 
August Thalhamer,
Jhg. 1943, ist r.k. Theologe, hat fünf Jahre als Priester gearbeitet, dann Psychologie studiert und arbeitet seit 1974 als freiberuflicher Psychotherapeut und Wirtschaftspsychologe.

Neben einer Reihe von Therapie-Ausbildungen sowie in Team- und Organisationsentwicklung interessierte er sich bald für traditionelle Heilverfahren, erlernte ein paar davon und publiziert auch darüber, z.B. "Der Heilungsweg des Schamanen - im Lichte westlicher  Psychotherapie und christlicher Überlieferung"

Sein neuestes Buch: „Für die Versöhnung neuen Wissens und alter Weisheit in der Seelenheilkunde“, eine Streitschrift gegen die Reduktion des Menschseins auf naturwissenschaftlich erfassbare Materie - Mit besonderer Berücksichtigung der schamanischen Heiltradition.