IHRE DATEN WERDEN VERARBEITET!

War Jesus ein Schamane? 1998 / erweitert 2021

In Jesu Lehre und Praxis sind eine Reihe von Elementen, die offensichtlich aus der viel älteren schamanischen Tradition stammen. Andererseits gehen seine Auffassungen über schamanische Vorstellung und Praxis hinaus.

PDF download




Ich finde: Ja und Nein.

Ja.
Selbstverständlich ist der Schamanismus - in irdischen Zeit-Termini gesprochen - viele Jahrtausende älter, was auch verständlich macht, dass nicht nur z.B. der tibetische Buddhismus, sondern auch das Judentum und in der Folge das Christentum schamanische Elemente ganz selbstverständlich mit eingebaut hat.

Dazu zählen nicht nur verschiedene Mythen wie z.B. über die Entstehung der Welt oder eine Sintflut, die weithin über den Erdkreis in verschiedenen Bildern verbreitet waren und sind, sondern auch Elemente der "Ausbildung" z.B.das 40 -tägige Fasten in der Wüste, das - inkl.Versuchung - in vielen Stammeskulturen als "Visionssuche" bekannt ist.

Auch dass Träume als Botschaften und Aufträge von Geistwesen aufgefaßt werden z.B. die Berufung 1 Sam 3 oder Mt 1.

Auch im "Reich Gottes" geht es primär nicht um körperliche Heilungen, sondern die Eingliederung des einzelnen und der Bevölkerung in einen größeren Zusammenhang, wenngleich diese bei den Hochreligionen nicht identisch ist mit der Eingliederung in die natürliche Ordnung wie bei den Stammeskulturen. In der Geschichte der christlichen Kirchen spielt die Beschäftigung und Würdigung der Natur eine eher untergeordnete Rolle, abgesehen von einzelnen Größen wie Hildegard von Bingen oder Franz von Assisi. Erst Papst Franziskus hat 2015 in seiner Enzyklika “Laudato si’ das Thema sehr treffsicher aufgegriffen.

Heilungen sind Hauptmerkmal des Messias. Jesus zitiert auf die Frage des Johannes den Propheten Isaias 35 etc: "Blinde sehen wieder, Lahme gehen..." Mt 11 Auch Jesus schickte seine Schülerschar aus zu heilen "und gab ihnen Macht und Vollmacht über alle Dämonen und Krankheiten zu heilen." Lk 9 Was jedem Schamanen in gleicher Weise vertraut ist. Und wie bei den SchamanInnen geht es auch bei Jesus nicht nur um Heilung, sondern um Heil, um die Einglederung in die göttliche Ordnung und das Leben in Fülle Jo 4. Nicht curatio ist das Ziel, sondern salvatio. 

Auch mache Heilungsrituale werden von manchen Schamanen in der gleichen anschaulichen Weise durchgeführt. Z.B. Jo 9: "Er spuckte auf den Boden, machte einen Teig aus dem Speichel, strich den Teig auf die Augen des Blinden..." oder wie er die bösen Geister des Besessenen von Gerasa austrieb Mk 5,1 ff


Nein.

Andererseits gehen die "Hochreligionen" wie auch der Buddhismus über schamanische Auffassungen hinaus: Jesus sieht sich zwar in der Nachfolge der Propheten (die ich übrigens auch nicht einfach als Schamanen bezeichnen würde), versteht sich laut Bibel aber als der von ihnen verheißene "Menschensohn", also als der in viel höherem Maße gottdurchflutete Höhepunkt der Geschichte, von dem auch Johannes, der Täufer, sagt (Mt 3), dass er nicht wert sei, ihm seine Sandalen zu tragen.

Schamanen verehren auch den Schöpfer, den Großen Geist, heilen aber normalerweise vorwiegend nicht direkt aus seiner Kraft heraus, sondern mit Hilfe der Naturkräfte, von Guten Geistern und Ahnen. Juan K’anchaq Uma aus Peru  z.B. teilt folgende drei Klassen ein:

die »Titulares«, die Natur- oder Erdgeister, die uns schützen, mit Hilfe derer in seiner Tradition v.a. geheilt wird,
die »Entitades«, die Ahnen und unseren Engeln vergleichbare Geister und
die »Esencia de los hombres«, der Geist, den jeder in sich trägt, den göttlichen Geist:

»Den göttlichen Geist definieren wir nicht in unserer Tradition. Am ehesten nennen wir ihn den ›Schöpfergeist‹ . In der Inka-Tradition gibt es gar keinen Namen für Gott. Ihn zu benennen, würde ja bedeuten, ihn festhalten oder beherrschen zu können,« Erinnert das nicht an Exodus 20,4 »Du sollst dir kein Bild machen von Gott!«?
 
Die Heilungen Jesu werden durch Gottes Geist gewirkt, nicht primär durch Engel, die zwar auch im Neuen Testament von Jesu Geburt bis zu seinem Grab eine bedeutsame Rolle spielen, ihm zur Seite stehen Mt 4.11 und ihn trösten Lk 22,43.

Denn Jesus erlebt sich vor allem eins mit dem Vater (was v.a. Johannes, der Mystiker unter den Evangelisten, immer wieder betont z.B. Jo 5) und muss auf Grund seiner Vollendung dazu nicht einmal "schamanisch reisen", also in Trance gehen.

Dazu genügt auch das eine Opfer: wir sind erlöst und müssen nicht aus Angst vor Dämonen oder Ahnen usw. immerwährend Opfer darbringen. Es reichte das eine von Jesus, der übrigens in der Bibel auch als einziger mit dem griechischen Wort für Priester bezeichnet wird ("hiereus"), wogegen "presbyter", von dem das deutsche Wort "Priester" abgeleitet wurde, nur "Älterer" bedeutet, also "Gemeindevorsteher".

Die Ideale der Bergpredigt Mt 5 gehören mit ähnlichen mystischen Überlieferungen anderer Religionen zu den höchsten (und schwer erreichbaren) Zielen der Menschheit; sie gehen m.W. über die ethischen Vorstellungen der meisten Naturvölker hinaus. War doch z.B. schon das "Aug um Aug" der Juden, also Rache 1:1 ein großer Fortschritt gewesen. Aber jetzt heißt es Lk 6: "Liebet eure Feinde! Tut Gutes denen, die euch hassen!"

Demgemäß wird natürlich auch Schwarze Magie im Gegensatz zu einigen schamanischen Traditionen als Sünde aufgefaßt, die sich natürlich auch gegen den Sender selbst richtet.

Dass die Grundgesetze des Himmelreiches freilich in der Geschichte der real existierenden Kirche häufig nicht nur nicht verwirklicht wurden, sondern sogar furchtbare Verbrechen ausgerechnet im Namen Jesu verübt wurden, steht auf einem anderen Blatt.

Ja und Nein.
Salopp könnte man sagen, dass ein Hauptunterschied darin besteht: Jesus heilt mit Hilfe des Chefs, die Schamanen mit Hilfe der Abteilungsleiter. Aber wenn man alles Geschaffene als eine "Materialisierung" des unfassbaren Logos auffasst, quasi als seinen fassbaren "Körper": wo anders sollte man dem Urgrund des Seins direkt begegnen können als in dem von Ihm Geschaffenen? So haben es auf jeden Fall viele Mystiker verstanden (was ihnen freilich oft Schwierigkeiten mit der Kirchenleitung eingebracht hatte).

So gesehen, schmilzt der Unterschied zwischen Jesus und Schamanen auf ein Minimum, wie in dem "Märchen von den Orten der Erinnerung" von Günther Karner und Johannes Matthiessen in "Spirit Parks" deutlich wird:

 

„Es lebte einmal …
und lebt noch immer …
und wird immer leben …
ein Wesen, das so unvorstellbar groß ist, dass es weder einen 
Anfang hat, noch ein Ende. Es wurde nie geboren und es wird 
auch niemals sterben. Es ist einfach da. Es ist so unendlich 
weise und gütig, dass es alles erkennt, was es zu erkennen 
gibt und alles fühlt, was mitgefühlt werden kann.
 

In diesem großen und großartigen Lebewesen leben unendlich viele kleine Wesen. Es sind so viele, dass niemand sie je zählen könnte. Zu ihnen gehören die Sterne, die Planeten, die Monde und die Erde. Und alle diese kleinen Wesen leben, denn es gibt nichts im großen Wesen, das nicht lebt.

Die Erde, diese wunderbare Himmelskugel, wird selbst von unendlich vielen Wesen bewohnt. Eine Gruppe davon sind die Menschen. Sie sind recht sonderbare Wesen. So halten sich viele von ihnen für das Klügste, das es im Universum gibt. Manche von ihnen glauben, das Universum besteht aus nichts anderem, als einer unendlichen Anzahl lebloser Stein- und Feuerkugeln.

Aber vielleicht haben diese Menschen nur vergessen, dass es viel größere und weisere Lebewesen als sie selbst gibt. Vielleicht haben sie vergessen, dass sie selbst ein Teil eines Lebewesens sind, das Erde heißt. Und vielleicht haben sie vergessen, dass die Erde ein ganz winziger Teil des ganz großen Lebewesens  ist, das viele Völker mit „Gott“ bezeichnen.

An manchen Orten auf der Erde beginnen sich die Menschen aber wieder zu erinnern. Es sind Orte, an denen das ganz große Wesen zu ihnen spricht. Seine Sprache kann man aber nicht mit den Ohren hören. Man kann sie nur mit dem Herzen hören. Und ein Weg, um das große Wesen zu hören ist, zu versuchen, mit Haut und Haar in die Natur einzutauchen und mit den Steinen, den Pflanzen, den Tieren, den Wolken und dem Wasser, ja mit allem eins zu werden.

Es reicht nicht, nur zu beobachten. Man muss als Mensch, “in dem all dies auch existiert“ versuchen, selbst Stein oder Pflanze, Tier oder Wolke zu sein.

Und alle, die vom Klang des größten Wesens nur ein wenig berührt werden, erahnen das wunderbare Geheimnis allen Lebens und der bisher vorhandene Schleier beginnt sich langsam zu lüften. Und mit großer Ehrfurcht und Dankbarkeit fühlen sie in sich und um sich die Liebe dieses Wesens, dessen Teil sie immer waren, dessen Teil sie sind und dessen teil sie immer sein werden“.

 
 August Thalhamer, ergänzt und erweitert im August 2021