Übereinstimmungen und Unterschiede aus der Sicht eines Therapeuten, der beides praktiziert.
Übereinstimmungen und Unterschiede aus der Sicht eines Therapeuten, der beides praktiziert.
Zusammenfassung: Schamanismus ist die älteste Form der Medizin und Psychotherapie. Als ich mich das erste Mal intensiver mit Schamanismus befaßte, entdeckte ich verwundert, daß ich die wesentlichen Heilungspraktiken bereits seit vielen Jahren kannte und (wenn auch nicht in identischer Form) praktizierte. Auch mit dem Familienstellen nach Bert Hellinger gibt es neben Unterschieden eine Menge bekannter und geheimer Übereinstimmungen: v.a. die systemischen Sichtweise mit der Möglichkeit einer Verstrickung und die Annahme einer vorgegebenen Ordnung etc. Die Konzepte sind ähnlicher als sie auf den ersten Blick erscheinen. Meine These: zum Tragen kommen in beiden Richtungen Fähigkeiten, die (in unterschiedlichem Ausmaß) jedem Menschen eigen sind, sodaß sie einerseits von Generation zu Generation weitertradiert wurden, andererseits immer wieder neu entdeckt worden sind (und werden können): zu spüren, was in einer anderen Person vor sich geht und es u.U. rituell in Ordnung zu bringen. Für viele von uns so selbstverständliche transpersonale Vorgänge zB. wieso ein Gruppenmitglied, sobald es einer Rolle zustimmt, stimmige Aussagen machen kann, oft dieselben Formulierungen verwendet wie der Dargestellte und ansatzweise die Symptome der dargestellten Person spürt, ohne vorher davon gewußt zu haben, sind mit den derzeitigen wissenschaftlichen Methoden (noch) nicht erklärbar, wohl aber aus dem schamanischen Weltbild. Manchmal wird das gleiche von der anderen Seite gesehen. Ob z.B. ein Verstorbener einen Lebenden besetzt, ihm die Seele raubt oder ihn in den Tod lockt oder ob der Lebende ihm aus Liebe in Krankheit oder in den Tod folgt, ist m.E. nur eine Frage des Standpunktes. Auch der Volksmund kennt beides: wenn etwa Vater und Sohn kurz hintereinander sterben, sagt man: "Den hat er sich jetzt geholt." Aber auch: "Er ist ihm nachgegangen." Sowohl die westliche Therapeutin wie die Schamanin beachten die verbalen und nonverbalen Signale des Klienten und der Umstehenden und beurteilen sie auf Basis der bisherigen Erfahrungen. Die Aufstellerin läßt sich aber hierbei "aus der leeren Mitte" (B.Hellinger) von ihrer Intuition führen, die Schamanin hingegen von helfenden Geistwesen in den anderen Welten, die sie in Trance kontaktiert. Schaut aus wie zweierlei. Ist es dies auch?
Summary: SHAMANISM and FAMILY CONSTELLATIONS
Differences and correspondences from the point of view of a practitioner of both methods
This texts is nearly equal to my lecture WHERE SHAMANISM AND PSYCHOTHERAPY MEET I gave at the 2nd International Symposium on Shamanic Studies in August 2003 in Kyzyl, Tuva/ Siberia/ Russia. The main difference is, that in Europe I introduced especially Shamanic healing methods and to the Shamans in Siberia especially constellation work.
WIE KANN EINE PERSON VON EINER ANDEREN ETWAS SPÜREN UND WISSEN, WAS SIE GAR NICHT WISSEN KANN?
Das läßt den, der zum ersten Mal an einer schamanischen Behandlung oder einer Familienaufstellung bzw. Bewegung der Seele beiwohnt, ergriffen, aber verwundert den Kopf schütteln. Ob in Gestaltarbeit, Psychodrama, in der Familienrekonstruktion, der Part´s Party, bei Familien- oder Strukturaufstellungen - wer mit diesen Methoden arbeitet, hat die Erfahrung gemacht, daß man sich auf die wesentlichen Aussagen der Darsteller/Rollenspieler (von seltenen Ausnahmen abgesehen) verlassen kann. Es kommt vor, daß vom Spieler sogar dieselben Formulierungen gebraucht werden, die der Fallbringer vom Dargestellten kennt, und dessen Symptome ansatzweise spürt. Immer wieder kommt es vor, daß ein Teilnehmer durch einen Darsteller auf ein bisher unbekanntes weil verschwiegenes Geschwister aufmerksam gemacht wird. Zum Beispiel auf ein uneheliches Kind des Vaters, was nach der Aufstellung dann verifiziert wird.
Nicht allen Aufstellern ist bewußt, daß es sich hier um transpersonale Vorgänge handelt. Was unsere Naturwissenschaft vor ein (noch) ungelöstes Rätsel stellt, ist aus der schamanischen Weltsicht selbstverständlich und leicht erklärbar. Unsere Kultur ist nämlich die einzige auf der Welt und in der Geschichte die die Individualität in nie gekanntem Maße betont. Wir sind es gewohnt, uns als Einzelwesen, getrennt von allem anderen zu sehen. Aus schamanischer Sicht wird die Einzelausformung und Unterscheidbarkeit des einzelnen vom anderen nicht geleugnet, so wie sich ein Finger vom anderen unterscheidet und sogar eigene Namen hat: Zeigefinger, Mittelfinger, Ringfinger ... Was aber unsere Kultur aus den Augen verlor, ist, daß
ALLES TEIL EINES GANZEN
ist. Wenn ein Finger verletzt wird, spürt dies auch der andere, denn es gibt Verbindungen: Haut, Gewebe, Blut- und Nervenbahnen ... Sehe ich mich also als Teil EINES Körpers, gibt mir das nicht nur Kraft durch die Erfahrung des Verbundenseins, sondern ich kann die Verbindung auch nützen und wahrnehmen, was in einem anderen Teil des EINEN los ist. Ich brauche also keinem eine Ohrfeige zu geben, da kann ich mir ja gleich selbst eine runterhauen und wenn ich einem anderen Liebes antue, dann beschenke ich mich dadurch selbst. Aus schamanischer Sicht umfaßt diese Verbundenheit nicht nur alle Menschen, sondern alles was existiert: auch Tiere, Pflanzen, Materie, den ganzen Kosmos, alles was existiert hat und existieren wird, vom Anfang bis zum Ende der Zeit. "I am old, I am young, I know what was told" heißt es in einem keltischen Lied. Wer länger meditiert, kennt diese Erfahrung, die einen fasziniert und erschüttert. Aus dieser ganzheitlichen Sichtweise werden viele Phänomene verständlich bis hin zu wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Vorgängen.
Der Zusammenhang des Individuums mit dem Ganzen wird schön beschrieben in der taoistischen Geschichte vom Regenmacher:
In einem Dorf in China herrschte eine furchtbare Dürre. Als alle üblichen Methoden nichts fruchteten, holte man den berühmten Regenmacher aus dem fernen Dorfe. Er erbat sich ein kleines Haus am Dorfrand, die Mahlzeiten sollte man außen hinlegen und ihn auch sonst nicht stören. Als es nach Tagen noch immer nicht regnete und die Leute bereits ungeduldig wurden, ging die Tür auf und er trat heraus. Da zogen Wolken auf und ein herrlicher Regen erfrischte das Land. Die Menschen fielen auf die Knie und bewunderten den großen Regenmacher. "Ich bin gar keiner" antwortete der Fremde. "Aber ich sah, als ich ins Dorf kam, daß alle Leute außer sich und nicht im Tao waren. Auch ich wurde gleich davon ergriffen. So habe ich mich zurückgezogen, die Balance in mir wieder herzustellen. Und als ich soweit war, begann es zu regnen. Man kann den Regen nicht herbeizwingen. Aber ist man mit sich im reinen, kommt das Wetter, wie es soll."
In der Psychoszene hat als erster C.G.Jung jeden Menschen als "unbewußt vermischt mit anderen Individuen" beschrieben und das Konzept des "kollektiven Unbewußten" entwickelt. Sein wertgeschätztes Ziel war aber die Individuation.
Der Biochemiker Rupert Sheldrake (er hat mit einem Theologen sogar ein Buch über Engel geschrieben) stellte die These strukturierender und organisierender Felder auf, die er "morphogenetisch" nennt, um die Entwicklung und die Zusammenhänge lebendiger Organismen zu erklären.
Bert Hellinger spricht von der "großen Seele". "Was ich in meiner Arbeit versuche, ist, jemand in den Einklang zu bringen mit dieser Kraft. Ich selbst füge mich dieser Kraft, bin mit ihr im Einklang, und so arbeite ich also mit etwas, das durch mich nur hindurchgeht."(S. 485f)
Insa Sparrer (S. 212f): "In den Systemischen Strukturaufstellungen zeigt sich das Wissen zwischen uns. Alle wesentlichen Gedanken fließen letztendlich aus der Quelle dieses Wissens. Wir sind nur Gefäße dafür."
"Es gibt einen Traum, der uns träumt" sagt man bei den Buschleuten in der Kalahari.
In der Tradition des indianischen Medizinrades nach Swift Deer und HyemeyohstsStorm bedeutet die Position 15 im östlichen Zentrum "die Seele aller Menschen", wo alles gespeichert ist, was je auf der Welt gedacht und getan wurde.
In den letzten Jahren entdeckten Neurowissenschafter wie Rizzolatti als physischen Beleg für Intersubjektivität im Gehirn sogenannte Spiegelneuronen, die vermutlich die Einfühlung in andere ermöglichen. (Bei Schizophrenen, die fremde und eigene Regungen oft nicht mehr unterscheiden können, sind diese ebenso gestört wie bei Autisten, die sich kaum in andere hineinversetzen können.)
So verschieden die Wurzeln und Ausprägungen dieser Auffassungen auch sein mögen: diese systemische bzw. transpersonale Sichtweise ist Grundlage sowohl schamanischen Handelns wie jeder Aufstellungsarbeit.
Im folgenden seien die beiden Methoden kurz skizziert:
o Schamanische Problemlösung: die Schamanin geht in Trance, meist mit Hilfe von Musik oder Tanz, und bittet ihre verbündeten Geistwesen in den anderen Welten um die Diagnose und die Lösung, die zum Teil von diesen selbst, zum Teil von der Schamanin als deren Medium durchgeführt wird.
o Problemlösung durch Aufstellung: durch Gruppenmitglieder repräsentiert werden relevante Personen/Teile des Problemsystems vom Fallbringer im Raum aufgestellt. Der Aufstellungsleiter versucht etwaige Verstrickungen aufzuspüren, Ressourcen bei den Ahnen zu entdecken und die Teile des Systems einer Lösung näherzubringen, indem er sich von seiner Intuition und den eigenen Körpersignalen sowie denen der Stellvertreter und deren Äußerungen führen läßt. Es gibt übrigens auch Kollegen, die bei schwierigen Aufstellungen Schamanen beiziehen, um sonst nicht Wahrgenommenes mit einbeziehen zu können. Andere - wie ich - machen manchmal beides in einem, ohne daß die Klienten es merken müssen.
WIRD NUN GEHEILT MIT HILFE VON GEISTWESEN ODER VON PERSÖNLICHKEITSANTEILEN, DER WEISHEIT DES UNBEWUSSTEN ODER DER GROßEN SEELE?
Interessanterweise haben auch manche Schamanen kein Problem, diese auf den ersten Blick so verschieden anmutenden Sichtweisen zu verbinden. Wenn z.B. Papa Eli aus Burkina Faso oder der von den mexikanischen Huichol initiierte Brant Secunda übereinstimmend sagen, daß ja die Geister IN UNS sind.
Aus der Tiefenpsychologie kennen wir das Konzept der "Internalisierung", nach dem real erlebte Personen z.B. Vater, Mutter oder Erzieher regelrecht zu Teilen der eigenen Persönlichkeit werden, sodaß es für die Praxis unerheblich ist, ob man es therapeutisch z.B. mit dem vorgestellten Vater oder dem Über-Ich zu tun hat. Zu ähnlichen Konsequenzen führen auch die Auffassungen des Konstruktivismus.
Das ist vermutlich einer der Gründe, warum eine Einzeltherapie genauso möglich und wirksam ist wie eine Familientherapie, weil ohnehin alle relevanten Personen, schon tot oder noch am Leben, in mir sind. Vielleicht bezieht sich die Internalisierung aber nicht nur auf die Personen, die ich z.B. als Kind erlebt habe, sondern - unbewußt - auf alle meine Vorfahren, wie ich ja auch körperlich/ genetisch von allen meinen Vorfahren etwas in mir habe und sie bin. So sind die Ahnen zugleich außerhalb von uns und in uns und es gibt vielleicht die klare Trennung zwischen "intrapsychisch" und "interpersonal", wie wir sie gewohnt sind, gar nicht. D.h. aber auch, daß sich die Schamanin nicht über die "Psychologisierung" ihrer als außen erlebten Vorgänge ärgern muß und die Therapeutin nicht über die "esoterische" Erklärung ihrer Erfahrungen mit der Psyche. Jede kann bei ihrer Wirklichkeitskonstruktion bleiben und hervorragend damit arbeiten, denn: das Reich der Seele und der Geistwesen ist eins.
So gesehen sind dann Familienaufstellungen zugleich Darstellungen des Beziehungsgefüges eines Klienten wie der Konstellation seiner Teile. Wie wohl auch die einzelnen Elemente einer Systemaufstellung zugleich real lebende und/oder tote Verwandte repräsentieren. Diese Auffassung vertrete ich seit über zwanzig Jahren und finde sie durch meine Erfahrungen gedeckt.
Wenn ich also den Begriff der Persönlichkeit bzw. der Seele (hier synonym verwendet) so weit fasse, ist es gleich (im wahren Sinne des Wortes), ob die Toten bei einer Aufstellung anwesend sind oder nicht. Für die Praxis macht es ohnehin keinen Unterschied, wie ich schon in meinem Aufsatz "Sein oder nicht Sein" an Hand von Beispielen ausgeführt habe. (Darin geht es um die Frage, ob es sich bei Aufstellungen um die Verstorbenen resp. ihre Seelen oder um Darstellungen innerer Bilder handelt. Siehe dazu auch die Diskussion in der Zeitschrift "Praxis der Systemaufstellung, wo 1/99 ein Artikel von Albrecht Mahr zum Thema "Wie Lebende und Tote einander heilen können" eine lebhafte Diskussion in den nächsten Nummern auslöste). Aus dieser Sicht ist es selbstverständlich, daß nicht nur ich, sondern auch manche bereits Verstorbene, wenn sie noch mit den Lebenden verstrickt sind, der Erlösung bedürfen, sodaß wieder Frieden und Klarheit in mir und/oder in den Beziehungen hergestellt wird. (Auch in den religiösen Auffassungen ist gegenseitige Beeinflussung selbstverständlich). Auf die schamanische "Psychopomposarbeit" komme ich unten (Pt. 6) noch zu sprechen.
WELTBILD
Ich habe schon in meinem Aufsatz "Sind Schamanismus, christliche Mystik und westliche Psychotherapie kompatibel?" vertreten, daß zwischen der materiellen Welt (die im Westen meist als die einzig existierende aufgefaßt wird) und dem Unnennbaren (das in unserer Kultur meist mit dem Wort "Gott" bezeichnet wird) eine Zwischenwelt angenommen werden kann: die Welt der Seele = der Geister, zu der wir gehören und deren Teil wir sind, auch in den Tagen unserer Materialisierung auf der Erde. Der Begriff "Das Unbewußte" eignet sich m.E. für diesen seelischen Bereich besonders gut, weil er ja nichts über sich aussagt, sondern nur, daß seine Inhalte und Vorgänge nicht bewußt sind - die aber durch schamanische oder Aufstellungsarbeit und auch durch andere Methoden ans Licht des Bewußtseins gebracht werden können.
1.) So könnte man im innersten von konzentrischen Kreisen, (Welten in Welten in Welten - wobei der jeweils innere ein Teil des äußeren ist und von diesem geformt wird) die Materie sehen, das Körperliche, die Alltagswirklichkeit mit Raum und Zeit. Die Welt des Bewußten, des eigenen Willens und Denkens. Was wir oft "das Ich" nennen. Das Objekt unserer Naturwissenschaften und auch der psychologischen Forschung. In vielen Stammeskulturen als die "Mittlere Welt" bezeichnet, oben und unten umgeben von der Anderswelt, wobei alle drei zusammengehalten und verbunden werden durch die Weltenachse, den Weltenbaum, der alle drei durchwächst.
2.) Im Kreis darum die Anderswelt. Das Reich der Geistwesen, der Instanzen zwischen Gott und Mensch, die z.B. in der Bibel als Mächte und Gewalten, Engel und Dämonen bezeichnet werden, in manchen Kulturen als Götter. Das Reich der Toten und der Ahnen. Das Reich der Seele und des Unbewußten. Die Nicht-alltägliche-Wirklichkeit. Auch Traumzeit genannt. In vielen Stammeskulturen in die "Obere Welt", wo oft die weisen, uns lehrenden Geistwesen und die "Untere Welt", wo oft die "Krafttiere" erlebt werden, unterteilt.
Wie von den späteren Hochreligionen übernommen, werden Hierarchien angenommen, an oberster Stelle oft die beeindruckendsten Naturgewalten wie Großvater Sonne usw., an unterster Stelle lokale Naturgeister wie Elfen usw. Obwohl ich dies früher eigenartig fand, erlebe auch ich in Trance verschiedene Instanzen, die auch für Verschiedenes zuständig sind. In die höchste Ebene gelange ich z.B. nur, wenn ich absolut nichts will, auch nicht die Heilung des Klienten. Sonst komme ich gar nicht durch die äußerste Pforte, die ich als meine verstorbene Mutter erlebe, durch die ich - völlig absichtslos - hindurchgehen muß.
3.) Die Wirklichkeit, die wir "Gott" nennen, wäre im dem grenzenlosen Kreis drum herum, alles durchdringend und umfassend. Sie ist per definitionem nicht definierbar = begrenzbar, sonst wäre sie ja nicht die Wirklichkeit, von der wir reden. Vermutlich auch deshalb denken Schamanen zwar ehrfurchtsvoll daran, heilen aber selten mit Hilfe dieses Großen. Es wundert, daß manche so gut über ihre Eigenschaften Bescheid zu wissen scheinen, kann man doch nur verläßlich sagen, was sie nicht ist, wie es in der "negativen Theologie" vertreten wird. Alles andere Reden ist nur Annäherung, Versuch etwas Unfaßbares in Worte zu fassen: der Allerhöchste, der Große Geist, der Schöpfer, das Eine, das Zusammenfallen der Gegensätze, das Unnennbare, die alles umfassende Liebe, der Seinsgrund, Wakan Tanka...
Interessanterweise kommen auch Anthropologen zu dieser Dreiteilung, indem sie das Reich der Seele mit dem der Geistwesen gleichsetzen. So beschreibt z.B. Holger Kalweit diese (in Scharfetter/Rätsch S. 170ff) als: reinen Geist, Plasmapsyche und Körper.
Diese Sichtweise ist wie jede andere ein Versuch, die Welt zu erklären und zu verstehen. Erklärungen geben uns mehr Sicherheit, uns in der Welt zu bewegen, sind aber (wie z.B. auch das Konzept von Raum und Zeit) "bloß" hilfreiche Konstruktionen. Z.B. wird in dem oben genannten Modell leicht übersehen, daß die Welt in Wirklichkeit EINS ist. Auf jeden Fall erleben wir in tiefen Meditationen diese und alle Grenzen aufgehoben, was freilich mit unserer digitalen Sprache zu beschreiben sehr schwer fällt. Woher wollen wir wissen, daß diese inneren Augen weniger genau sehen als unsere äußeren, die ja auch "nur" konstruieren? "Schau, da drüben steht ein Baum.!" Heinz von Foerster darauf: "Woher weißt Du das?"
ÄHNLICHKEITEN und UNTERSCHIEDE
Die äußere Form von schamanischer und Aufstellungsarbeit ist ziemlich unterschiedlich. Ist es auch das Wesentliche des Vorganges? Hier einige Punkte unter die Lupe genommen:
1. Die systemische Sichtweise bezieht bei beiden Methoden lebende und tote Menschen mit ein. Ganz ähnlich, sogar in der Vorgangsweise, ist das "Ritual der Schilde" eine der Möglichkeiten, mit dem Medizinrad zu arbeiten. In der schamanischen Sichtweise werden (wie bei der Strukturaufstellung und ähnlichen Methoden, wo z.B. auch ein depressives Haus dargestellt werden kann) auch andere Elemente mit einbezogen. Es wird z.B. eine Heilpflanze gefragt: "Was kannst Du für mich tun?", aber auch: "Was kann ich für Dich tun?" Es sind ja alles Verwandte.
Galsan Tschinag, ein Tuvinier aus der Mongolei (in: Scharfetter/Rätsch S. 210f): "Die Geister meiner Urahnen habe ich überall um mich herum, es ist der Wind , es ist der Sonnenstrahl, es ist die Erde, es sind die Steine, die Bäume, die Menschen, die Tiere, alles, was mich umgibt, ist jeweils Teil der Geister meiner Urahnen . . Bei uns ist die bekannteste Behandlungsmethode eigentlich die Berührung mit der Mutter Erde, die Berührung mit den Brüdern Bäumen, die Berührung mit den Freunden Steinen, die Berührung mit den Schwestern Gewässern. Wenn ich auf der Erde sitze oder liege, spüre ich eine Strömung durch mich hindurchgehen, und ich halte dies für die Kräfte der Geister."
2. Sowohl die Schamanin wie die Aufstellerin greifen auf verborgenes Wissen zurück und verstehen sich, ihre Klienten und Mitspieler als Teil eines "wissenden Feldes". (Albrecht Mahr) Zugang dazu erhält man nach Hellinger durch "Sammlung", in den schamanischen Traditionen durch Trance, in der man sich vorübergehend von guten Mächten besetzen läßt und als ihr irdischer Arm agiert (darüber hinaus gehören zu den schamanischen Problemlösungstechniken auch verschiedenste Formen von Orakel usw.) In ähnlicher Weise wird auch die Klientin von den Geistwesen bzw. der Großen Seele geführt, wenn sie die Darsteller auswählt und aufstellt. Dies ist keine Denk-, sondern ein Spürarbeit und kann sogar mit geschlossenen Augen durchgeführt werden.
Bei der Gelegenheit: Ich vertrete die Sichtweise, daß sowohl wir von den Naturvölkern viel lernen können (zum Wesentlichsten gehört, daß wir durch den Kontakt mit ihnen wieder an unsere eigenen alten Fähigkeiten erinnert wurden), aber auch sie von uns:
Ist es nicht frappierend schnell und einfach: ein Gruppenteilnehmer wird gefragt, eine Rolle zu übernehmen und ab dem Augenblick seiner Zustimmung sind seine Aussagen schon ernst zu nehmen als Aussagen des Dargestellten (selbst wenn sie noch schnell und im Spaß gemacht werden). Keine aufwendige Trancetechnik, keine angeleitete Meditation, nicht mal Autogenes Training oder Entspannung nach Jacobson ist notwendig.. M.E. wären viele über Jahrtausende tradierte Formen der Trance-Induktion, z.B. die Einnahme furchtbarer Säfte, die einen tagelang den Kopf brummen lassen, die Zufügung von Schmerzen usw. vielleicht durch einfachere Formen, sein Denken loszulassen und empfänglich für die Botschaften der Spirits zu werden, ersetzbar.
Umgekehrt wären die Methoden der Aufstellungs- und Trancearbeit in viel mehr Bereichen anwendbar, als wir es im Westen tun. In indigenen Kulturen sucht der Schamane auch saftige Weideplätze, den richtigen Ort für´s Winterquartier, er nimmt Kontakt auf mit dem Tier, das für das Überleben der Großfamilie sein Leben hingeben wird, er spürt, welche Pflanze auf welchem Boden besonders gut gedeiht, er ist auch zuständig für den Zusammenhalt in der Sippe usw. Wir könnten diese Techniken auch anwenden zur Lösung wirtschaftlicher Fragen, bei der Suche nach technischen Lösungen, zur Förderung des Zusammenhaltes innerhalb der Gesellschaft und zwischen den Völkern usw. (Wir von Alpha Consulting in Wien machen z.B. Organisations- und Unternehmensberatung auch unter Zuhilfenahme dieser alten Techniken.)
3. In beiden Richtungen werden verborgene Kraftfelder wahrnehmbar gemacht und durch Rituale wieder in Ordnung gebracht, wobei in der Aufstellungsarbeit üblicherweise eine Unordnung der menschliche Beziehungen diagnostiziert wird, in der schamanischen Heilbehandlung (s.o.) aber auch die fehlende Harmonie mit der übrigen Natur als Ursache für Probleme/Krankheiten/Störungen erkannt wird. Die generelle Kritik Hoimar von Ditfurth´s an den philippinischen Heilern, sie seien Scharlatane, weil das "herausoperierte" Gewebe sich als Hühnerleber entpuppte, zeigt, daß er einen wesentlichen Aspekt schamanischer Heilung nicht verstanden hat: es geht um Show = um Sichtbarmachung unsichtbarer Vorgänge. (Ebenso könnte man Priester als Schwindler bezeichnen, weil sie Brot als den Leib Christi ausgeben.)
4. Daß der Rollenspieler stimmige Aussagen über den Dargestellten machen kann, würde man schamanisch als Durchsagen der Geister sehen, als vorübergehende Besetzung - durch Aktivierung der Verbindungskanäle mit der betroffenen lebenden oder toten Person. Der Stellvertreter stellt sich wie der Schamane für eine fremde Seele zur Verfügung.
Eine differenziertere schamanische Erklärung wäre das Seelen-Konzept, wie ich es bei den sibirischen Tuviniern kennengelernt habe. Hier geht man davon aus, daß jeder Mensch mehrere Seelen hat (vergleichbar mit dem Konzept mehrerer Körper des Menschen, wie es in manchen spirituellen Richtungen vertreten wird), körpernähere und körperfernere, die sich z.B. im Schlaf oder in der Arbeit der Schamanin woanders hinbegeben können. So könnte eine der Seelen des Dargestellten sich auch vorübergehend mit der Seele eines Stellvertreters bei Aufstellungen verbinden.
Aus schamanischer Sicht können aber nicht nur Personen mit einer bestimmten Energie geladen werden, sondern im Prinzip alles, z.B. Kristalle, die Trommel usw. (Christen kennen diese schamanische Technik der Wandlung, wenn Brot und Wein aufgeladen werden und dann Leib und Blut Christi sind). Ähnliches passiert auch, wenn wir Systemiker Personen durch einen Stuhl, Puppen, andere Gegenstände oder am Familienbrett durch Holzmännchen darstellen lassen.
Man könnte die Frage, wieso verläßliche Aussagen über Fremde(s) gemacht werden können, auch so beantworten: Wenn jeder Mensch alle seine Vorfahren = alle(s) mögliche in sich hat (s.o.), kann auch alles mögliche und alle möglichen in ihm sozusagen aktiviert und von ihm verkörpert werden. (So wird es manchmal ja auch von bekannten Schauspielern beschrieben.)
Meiner Erfahrung nach wählt zudem der Fallbringer häufig eine Person aus, die das jeweilige Thema in ähnlicher Form aus ihrem eigenen Leben kennt und der durch die Rollenübernahme erhöhte Selbsterkenntnis und manchmal auch ein eigener Heilungsschritt geschenkt wird. Wird z.B. eine Teilnehmerin auf einmal nicht mehr für immer die selbe Rolle einer auf Tote Orientierten gewählt, ist dies für mich ein Beleg, daß in der Darstellerin selbst eine heilende Verwandlung stattgefunden hat und dies von den anderen Gruppenmitgliedern bereits instinktiv wahrgenommen wurde.
Wie kann man sicher sein, daß ein Rollenspieler nicht sich selbst darstellt? Man spürt, daß jemand vorwiegend mit Denken und Erklärungen beschäftigt ist, statt zu spüren und sich von den inneren Impulsen bzw. den anwesenden Geistern leiten zu lassen. Wenngleich immer auch eine persönliche Färbung der stimmigen Inhalte stattfindet: Wie man eine bestimmte Melodie auf verschiedenen Instrumenten spielen kann, diese z.B. auf einem Klavier und auf einer Flöte nicht gleich, aber doch klar erkennbar klingt. So wird auch die Botschaft aus der Anderswelt vom Rollenspieler (wie auch vom Schamanen) auf seine eigene Art und Weise und oft in Bildern aus dem eigenen Erfahrungsschatz ausgedrückt, bleibt aber doch das Fremde, das nach Sitzungsende auch wieder abgelegt werden muß.
Ich habe vor Jahren mit Familienrekonstruktionen experimentiert: das selbe Familiensystem wurde zu einem anderen Zeitpunkt von völlig neuen Spielern in fast identischer Weise dargestellt und es wurden zu meiner Verwunderung mehrmals sogar die selben Sätze wie bei der früheren Rekonstruktion gebraucht. Einmal wollte uns ein Gruppenteilnehmer einen Streich spielen und sagte bei einer Rekonstruktion genau das Gegenteil dessen, was er gespürt hatte. Es stellte sich dann heraus, daß dies nachweislich auch die dargestellte Person getan hatte, was dem Fallbringer bekannt war. Meiner Erfahrung nach ist ein Abwesender auch dann schon da, wenn sein Name ausgesprochen wird, erst recht, wenn intensiv an ihn gedacht oder seine Person durch einen anderen Menschen, eine Maske oder einen Gegenstand verkörpert wird.
Es muß über die verbale und nonverbale Kommunikation hinaus noch andere Informationswege zwischen allem, was existiert, geben, von denen ich ausgehe, daß sie in späteren Jahren/Jahrhunderten auch physikalisch nachgewiesen werden können. Interessante Fall- und erste empirische Studien dazu finden sich bei Larry Dossey.
In beiden Richtungen ist freilich manmal nicht sicher, für welche Zeit die Informationen aus der Anderswelt gelten. Z.B. muß ein in einer Aufstellung wahrgenommener sexueller Mißbrauch nicht unbedingt in dieser Generation stattgefunden haben. Das "Daß" und v.a. die Wirksamkeit für die anwesende Klientin halte ich für gesichert, weil die wesentlichen Gefühlslinien meiner Erfahrung nach immer stimmen, die Details von Ereignissen aber unverläßlich sind. Es ist in diesem Zusammenhang zu erinnern, daß es hier ohnehin nicht darum geht, Wissen zu erhalten, sondern einen Heilungsprozeß in Gang zu setzen bzw. zu unterstützen. Z.B. wird mir - im Gegensatz zu Kollegen - meist nicht mitgeteilt, in welchem Alter und aus welchem Anlaß sich ein Seelenteil abgespalten hat. Vielleicht bin ich zu neugierig oder würde sonst überheblich werden. Auf jeden Fall erhielt ich oft die Antwort: "Das brauchst Du nicht zu wissen." Seitdem frage ich auch gar nicht mehr und wenn es für die Klientin notwendig ist, wird es mir ohnehin gezeigt. Würde man den Botschaften der Geistwesen nicht vertrauen, würden sie vielleicht eine Zeit lang nichts mehr mitteilen. Ich kenne ähnliche Erfahrung aus der Oberstufe des Autogenen Trainings.
5. Viele Therapeutenvariablen sind in beiden Traditionen gleich:
o Anamnese/Befragung ist üblich, aber in beiden Formen nicht Voraussetzung (es gibt auch "verdecktes" Arbeiten und man kann auch zu viel informiert werden, wodurch dann Worte und Denken das Spüren und Hören erschweren).
o Auch das erklärende Gespräch nachher, eventuell mit Handlungsanweisungen, die sich aus der Sitzung ergeben, ist in beiden Richtungen nicht notwendig, wird aber häufig praktiziert.
o Beobachtung der verbalen und nonverbalen Äußerungen. Im Schamanischen sind darüber hinaus auch Fernbehandlungen möglich. Allerdings kennen wir Fernwirkungen auch aus der therapeutischen Arbeit: daß jemand sein Thema intensiv bearbeitet und bei der Heimkehr in seine gewohnte Umgebung diese als verändert erlebt, was als Folge der Veränderung seiner inneren Bilder zu verstehen ist, als sich selbst erfüllende Prophezeihung, immer wieder aber auch "objektiv" belegbar ist z.B. wenn ein Vater nach vielen Jahren seiner Tochter brieflich mitteilt, daß ihm sehr leid tut, was er ihr angetan hat - nachweislich geschrieben nach der Sitzung der Tochter, ohne mit ihr persönlich oder telefonisch Kontakt gehabt zu haben.
o Die Verbindung mit den Ressourcen wird durch "Sammlung" hergestellt, durch "Nichtwissen" (Varga von Kibed), durch "die leere Mitte" (Hellinger) oder "the hollow bone" den hohlen Knochen (Lakota).
o Beide lassen sich führen von ihrer Intuition bzw. den verbündeten Geistwesen
o und wechseln zwischen aktivem Eingreifen und Entwickeln-Lassen.
6. Wenn wir die Toten würdigen, blicken sie freundlich auf uns. Wir sind verbunden und gesegnet. Die Ehrung der Ahnen ist in allen Stammeskulturen eine Selbstverständlichkeit, wobei (s.o.) nicht nur die menschlichen, sondern auch die tierischen, pflanzlichen und materiellen Ahnen Verehrung erhalten.
Trotz der Verbindung ("Du behältst einen Platz in meinem Herzen") wird in beiden Richtungen darauf geachtet, daß die Toten wirklich tot sein dürfen und nicht mehr ihr Augenmerk auf die Lebenden richten, damit die Lebenden sich der Fülle des Lebens zuwenden und es wirklich "nehmen" können. In der Aufstellungsarbeit durch liebevolles Achten der Ahnen, durch Beenden der Verstrickung und Rückgabe der übernommenen Lasten: "Ich lebe noch ein bißchen, dann komme ich auch."
Für den Schamanen ist die "Psychopompos-Arbeit" eine seiner wesentlichen Aufgaben: Er muß die Seelen der Verstorbenen hinübergeleiten und ihnen helfen, daß sie in den anderen Welten auch wirklich gut ankommen z.B. indem er die Seele des Verstorbenen rituell auf eine Ziege bindet und diese in die Wildnis hinausjagt (Nepal). Bleiben die Seelen der Verstorbenen in dieser Welt hängen, sind sie selbst nicht erlöst und stören die Lebenden.
Eine schwere Krankheit oder ein Nah-Todes-Erlebnis wird in vielen Stammeskulturen als Kennzeichen für eine Berufung zur Schamanin angesehen, weil dermaßen die spätere Schamanin sozusagen den Weg schon kennt, wie man zwischen der Welt der Lebenden und der Toten hin und her reisen kann. Diese Fähigkeit ist ja Voraussetzung, will man Verstorbene hinübergeleiten, die z.B. auf Grund eines plötzlichen Todes bei einem Unglück zunächst gar nicht wissen, daß sie schon gestorben sind. Üblicherweise überzeugt man sie dann und übergibt sie ihren schon früher verstorbenen Ahnen oder einer höheren Macht.
7. Manchmal wird das gleiche von der anderen Seite gesehen. Ob z.B. ein Verstorbener einen Lebenden besetzt, ihm die Seele raubt oder ihn in den Tod lockt oder ob der Lebende ihm aus Liebe in Krankheit oder in den Tod folgt, ist m.E. nur eine Frage des Standpunktes. Auch der Volksmund kennt beides: wenn etwa Vater und Sohn kurz hintereinander sterben, sagt man: "Den hat er sich jetzt geholt." Aber auch: "Er ist ihm nachgegangen."
Der Schamane wird üblicherweise eher den Verstorbenen bitten und mit ihm verhandeln, den Lebenden wieder loszulassen, wodurch auch der Tote befreit wird; dieser braucht dazu oft selbst eine Behandlung: meist muß man ihm helfen, machmal auch zwingen, sich in die Ordnung der Natur einzufügen. Wie in der Familienaufstellung kommt es auch vor, daß jemand seine Schuld eingestehen und auf sich nehmen muß oder daß er bloß gesehen werden muß von seinen Nachkommen und Achtung braucht, um sich in die Geisterwelt zurückziehen zu können.
Ähnliches kennen wir aus der therapeutischen Rekonstruktion der Realität der Wünsche der Vorfahren: erhalten z.B. meine Großeltern die Fülle von Zuneigung und Wertschätzung von ihren Eltern, können sie die Fülle ihres Glücks auf meine Eltern überfließen lassen, sodaß der Strom des Glücks dann zu mir fließt. Auch hier werden die Vorfahren behandelt, damit ich frei leben kann.
Der Aufsteller wird vorwiegend mit dem Lebenden arbeiten, die Verstrickung aufzulösen z.B. "Ich lasse die Schuld und die Folgen bei Dir". In hartnäckigen Fällen muß aber auch der Darsteller des Toten gedrängt werden, dem Nachfahren in die Augen zu blicken, ob er denn diesem sein Unglück wirklich weiterreichen wolle.
8. Sowohl in der Medizin, wie in der Psychotherapie und nach schamanischer Auffassung besteht das Problem eines Menschen darin, daß er entweder etwas zu viel hat, z.B. Streß, Virus, fremde Lasten oder daß einem etwas fehlt, z.B. Vitamine, abgespaltene Seelenteile usw. Auch die Heilung passiert ähnlich: das Fehlende wird gesucht und integriert. Aus schamanischer Sicht z.B. das Krafttier oder ein Seelenteil, der sich etwa anläßlich einer traumatischen Situation zur Sicherheit zurückgezogen hatte. In der Aufstellungsarbeit z.B. Verzeihung oder Ressourcen, die man etwa von einem wiederentdeckten und jetzt geachteten, bisher ausgeschlossenen Sippenmitglied erhält.
Wie im gestalttherapeutischen Konzept der "offenen Gestalt" geht es um die Reintegration abgespaltener Seelenteile. Die Schamanin reist dann, geführt von ihren Hilfsgeistern, in das Land der geraubten oder verlorenen Seelen oder Krafttiere, lädt sie ein, zurückzukommen (was sie aus Angst zunächst oft nicht wollen) und haucht sie z.B. rituell wieder in den Körper des Patienten (oder des Feldes, des Hauses oder des Werkzeugs etc.) ein.
In allen Richtungen kennt man das Phänomen der Erstverschlimmerung - schamanisch z.B. so erklärt, daß nach Rückkehr des Seelenteils vorübergehend in der Klientin wieder die Gefühle aus der traumatischen Situation z.B. eines sexuellen Mißbrauchs wach werden, deretwegen sich die Seele ja zurückgezogen hatte. (vgl. Sandra Ingerman Seite 154) Das störende Zuviel wird in der schamanischen Heilarbeit oft als Material im Körper gesehen, das nicht hineingehört, z.B. als Nagel oder als Gift, das zur Heilung z.B. durch Heraussaugen extrahiert und dann rituell z.B. in ein Gewässer oder in die Erde abgeführt wird. In der Aufstellungsarbeit wird z.B. die bedrückende Last zurückgegeben, sodaß man wieder frei ist.
9. Selbst in einzelnen Methoden habe ich Ähnlichkeiten festgestellt: Es gibt in manchen schamanischen Traditionen das "Word Doctoring", das Heilen durch Worte: Der Schamane geht in Trance und bittet seine Verbündeten z.B. um Heilungsworte für den Klienten, ein Heillied (oder auch einen Heiltanz), die er ihm dann mitteilt, vorsingt, nachsprechen läßt und verankert. Es kommt auch vor, daß für bestimmte Probleme immer bestimmte Worte zur Heilung eingesetzt werden.
Das erinnert an Bert Hellinger´s "Worte der Kraft". Interessanterweise war bei unseren Vorfahren, den Kelten, die Ausbildung der Barden (Dichter und Sänger), der Schamanen und der Harfenspieler praktisch gleich.
10. Auch in den schamanischen Kulturen kennt man meist die Anerkennung des Früheren, ähnlich wie in Hellinger´s Rangordnung. Andererseits hat die Berufung zum Schamanen absoluten Vorrang. Z.B. berichtet Galsang Tschinag, daß eine tuvinische 19-Jährige von ihrer Mutter die üblichen Ehrenbezeichnungen und selbst "Mutter" bzw. "Großmutter" genannt zu werden verlangte, nachdem sie in Visionen vom Geist ihrer kürzlich verstorbenen Großmutter zu deren Nachfolgerin als Schamanin berufen worden war. (Scharfetter/Rätsch Seite 193ff)
11. Bei einer meiner Visionen, durch die ich initiiert wurde, erhielt ich u.a. die Gabe der "Leidensübernahme". Etwas, das ich in dem Ausmaß als Psychotherapeut - wegen der Gefahr des Helfersyndroms - immer für sehr bedenklich gehalten hatte, obwohl "Empathie" nach Carl Rogers ja ähnliches meint. Faktum ist, daß ich bei etwa dreiviertel der schamanischen Behandlungen meist gleich nach dem Augenschluß, mit dem ich die Trance beginne, die Symptome des Behandelten am eigenen Leib und in meiner Seele spüre - mit dem Auftrag, daß das Problem gelöst sein wird, wenn ich es bei mir lösen (lassen) kann.
Nicht nur der Schamane, auch andere Teilnehmer z.B. in einer indianischen Schwitzhütte, können vorübergehend das Leiden des Patienten auf sich nehmen und nachher wieder in die eigene Haut zurückkehren, wie dies auch die Stellvertreter bei Aufstellungen tun, wo manchmal erst das Erleben des tiefen Schmerzes der Darsteller eine Wandlung beim Klienten auslöst. Auch hier geht der Spieler anschließend wieder aus der Rolle, was aus gesundheitlichen und psychohygienischen Gründen notwendig ist.
Wird während der Aufstellung eine gute Lösung gefunden, geschieht die Entrollung meist von selbst. Wenn nicht, kann man kleine Rituale durchführen z.B. sich abstreifen, abschütteln, waschen und bewegen. Man kann sich wie ein Schauspieler nach der Vorstellung vor dem Publikum unter Applaus verneigen, sich dann (pantomimisch) in der Garderobe umziehen und abschminken, bis man im Spiegel wieder eindeutig sich selbst erkennt. Oder man verneigt sich tief vor der dargestellten Person und fordert sie auf, jetzt wieder zu gehen. Mir hilft nach einer schamanischen Behandlung wieder ganz in diese Welt zurück zu kommen, wenn ich etwas Natürliches z.B. einen Baum, eine Wiese oder die Maserung eines Holzes genau betrachte. Aufstellungsarbeit lasse ich meist durch Musik ausklingen.
12. Einen wesentlichen Unterschied sehe ich darin, daß in etlichen Stammeskulturen auch "schwarze Magie" praktiziert wird, u.zw. nicht nur gegen Feinde, gegen die häufig auch mit spirituellen Methoden gekämpft wird z.B. durch Seelenentzug, sondern es wird auch bei den vergleichsweise besonders friedlichen Buschleuten in der Kalahari z.B. jemand (auf Grund des kargen Nahrungsangebotes verständlich) aus der Gruppe verstoßen, wenn er andere bestohlen hatte. (Eibl-Eibesfeldt, Seite 42ff) Auch beim Familienstellen kann jemand seine Zugehörigkeit verspielt haben, wobei der Angehörige diese Person dann "ziehen lassen muß". Aber in letzter Zeit setzt sich z.B. auch im Umgang mit Tätern schwerster Verbrechen der sonst selten praktizierte biblische Auftrag durch: "Liebet Eure Feinde, tut Gutes denen, die Euch hassen und betet für die, die Euch verfolgen!" (Matthäus 5, 44)
Nach der oben beschriebenen Auffassung sind ja auch sie Teile von uns, die auch ihren Frieden brauchen und dazu verwandelt werden müssen - auch, damit wir Frieden finden können. Und unglaublicherweise können Täter und Opfer im Tod friedlich zusammenfinden, was zu den berührendsten Erfahrungen gehört, die wir in Aufstellungen machen.
13. In beiden Richtungen gibt es keine Erfolgsgarantie. Manchmal führt die Behandlung zu einer Lösung, manchmal nicht. In Aufstellungskreisen wird davor gewarnt, sie unbedingt anstreben zu wollen. Im Schamanismus darf man überhaupt nur heilend aktiv werden, wenn man dazu von seinen verbündeten Geistwesen beauftragt wird und die Erlaubnis erhält.
In beiden Richtungen kennt man die Erfahrung, daß der Klient augenscheinlich not-wendigen Schritt jetzt nicht tun kann (auf jeden Fall nicht sichtbar) oder den bei der Sitzung vollzogenen Heilungsschritt anschließend wieder rückgängig macht z.B. weil die neue Erfahrung seiner bisherigen Sichtweise so entgegengesetzt ist, daß er sie nicht annehmen kann. Es ist nicht einfach, wenn jemand, der sich zeitlebens zusammen mit der Mutter auf den "bösen" Vater eingeschossen hat, nun entdeckt, wie sehr er von ihm geliebt worden war. "Wir erhalten lieber den Status quo aufrecht: lieber im Status quo einer mittelmäßigen Ehe ... einer mittelmäßigen Lebendigkeit bleiben, als durch diesen Engpaß hindurchgehen." (Frederick S. Perls, Seite 47) "Leiden ist leichter" sagt Bert Hellinger manchmal.
Immerhin erhielt der Klient eine neue Sichtmöglichkeit, die er vorher nicht hatte und die er nun wählen kann oder auch nicht. Meiner Erfahrung nach macht es des öfteren Sinn, den Integrationsprozeß durch weitere Sitzungen zu fördern. In schamanischen Behandlungen erhalte ich manchmal den Auftrag, der Patientin mitzuteilen, daß sie - zumindest in der nächsten Zeit - weiter ihre Krankheit behalten muß, weil es zu ihren Lernaufgaben in diesem Leben gehört, dieses Problem anzunehmen und mit ihm leben zu lernen.
Bert Hellinger, der mit Recht davor warnt, zu viel auf die Wirkungen zu starren, geht davon aus, daß der Verarbeitungsprozeß bis zu zwei Jahre dauern kann. "Ich vertraue das Deinem guten Herzen an" sagt er öfters, wenn der Klient jetzt eben nicht mitkommt. Oft bleiben tatsächlich die Bilder einer schamanischen oder Aufstellungs-Sitzung jahrelang lebendig und fallen einem immer wieder ein. Ich gehe davon aus, daß alles Gute, das einem Menschen getan wird, in irgendeiner Weise bei ihm ankommt und wirksam wird.
14. Zum Schluß ein Punkt, den man nicht vergessen sollte: Aufsteller wie Schamanen halten sich nicht für allmächtig, sondern als Diener eines Größeren, über sie Hinausgehenden. Beim Schamanen geht dies so weit, daß er sich im Gegensatz zum Therapeuten normalerweise nicht einfach für den Beruf entscheiden kann, wenn er nicht von den Geistern dafür ausgewählt wurde.
Man sollte sich nicht leichtfertig ans Schamanisieren oder ans Familienstellen ranmachen, denn man kriegt es hier mit gewaltigen Kräften zu tun. Als Bote des Allerhöchsten, der Schutzgeister bzw. der großen Seele - kann man sich aber ohne Gefährdung auch den schlimmsten Situationen aussetzen. Man ist immer geschützt.
Das eigentliche therapeutische Agens ist ja in beiden Formen weder der Klient, noch der Therapeut sondern ein Tertium, wie immer man sich dieses Dritte vorstellt. So ist es richtig, daß Varga von Kibèd (S. 155) Nichtwissen, Hilflosigkeit und Verwirrung als die drei großen Helfer für die Aufstellungsarbeit bezeichnet, die einen davor bewahren, die Führung zu übernehmen und eigenmächtig einzugreifen. Entgegen der im Westen oft verbreiteten Sichtweise handelt es sich auch beim Schamanismus nicht um Zauberei, sondern es geht auch hier darum, demütig sich führen zu lassen.
SCHLUSS
So sehe ich also trotz der unterschiedlichen äußeren Formen der Rituale sehr viel mehr Ähnlichkeiten als Unterschiede. Zum Schluß möchte ich noch auf das bekannte Paradoxon hinweisen: ausgerechnet, wenn ich mich nicht überhebe, sondern meinen mir gemäßen Platz einnehme z.B. als jüngstes Kind einer Familie, erfahre ich dadurch Stärke, Sicherheit und Größe.
Ähnlich passiert es, wenn ich als Therapeut den demütigen, kleinen Platz einnehme, der mir gegenüber dem über mich Hinausgehenden gemäß ist. Dies stärkt das Bewußtsein meiner Würde und macht mir meine Größe bewußt, an diesem Großen teilzuhaben, das durch mich heilend wirkt.
"Unsere größte Angst ist nicht, daß wir unzulänglich sein könnten. Unsere größte Angst ist, daß wir grenzenlos mächtig sind. Unser Licht, nicht unsere Dunkelheit, ängstigt uns am meisten. Wir fragen uns: Wer bin ich, um so brillant zu sein? Aber wer bist Du, es nicht zu sein? Du bist ein Kind Gottes. Es dient der Welt nicht, wenn Du Dich klein machst. Sich zu beschränken, nur damit andere um Dich herum sich nicht unsicher fühlen, hat nichts Erleuchtendes. Wir wurden geboren, um den Ruhm Gottes, der in uns ist, zu manifestieren. Er ist nicht nur in einigen von uns, er ist in jedem einzelnen. Und wenn wir unser Licht scheinen lassen, geben wir damit anderen die Erlaubnis, es auch zu tun. Wenn wir von unserer eigenen Angst befreit sind, befreit unsere Gegenwart automatisch andere."
Eröffnungsrede von Nelson Mandela, im Jahre 1994 vor UNO-Delegierten.
Literatur:
Boller, F.G./ Rizzolatti, G./ Graffman, J./ Grafman J.: Handbook of Neuropsychology, 2nd Edition : Section 1: Introduction Section 2: Attention.- 2000, Elsevier Science Ltd
Dossey , Larry: Heilende Worte. Die Kraft der Gebete und die Macht der Medizin.- Südergellersen, 1995, Martin Originalausgabe: Healing Words - The Power of Prayer and the Power of Medicine.- San Francisco, 1993, Harper
Eibl-Eibesfeldt. Irenäus: Das verbindende Erbe. Expeditionen zu den Wurzeln unseres Verhaltens.- München, 1993, W.Heyne Verlag
Jacobi, Jolande: Die Psychologie von C. G. Jung. Eine Einführung in das Gesamtwerk.- Frankfurt am M., 1977, Fischer-TB.Verlag
Hellinger, Bert: Ordnungen der Liebe. Ein Kursbuch.- Heidelberg, 1994, Carl-Auer Verlag
Ingerman, Sandra: Auf der Suche nach der verlorenen Seele. Der schamanische Weg zu innerer Ganzheit.- Kreuzlingen, 1998, Ariston-V. Originalausgabe: Soul Retrieval. Mending the Fragmented Self.- San Francisco/New York, 1991, Harper Collins
Mahr, Albrecht: Wie Lebende und Tote einander heilen können. in: Arbeitsgemeinschaft Systemische Lösungen nach Bert Hellinger/: Praxis der Systemaufstellung. Beiträge, Austausch, Information,- Wiesloch, Nr.1/99 Seite 8ff
Perls, Frederick S.: Gestalttherapie in Aktion,- Stuttgart, 1974, Klett-Verlag Originalausgabe: Gestalt Therapy Verbatim.- Lafayette, 1969, Real People Press
Scharfetter, Christian & Rätsch, Christian (Hrsg.): Religion - Mystik - Schamanismus. Welten des Bewußtseins. Band 9.- Berlin, 1998, VMB - Verlag für Wissenschaft und Bildung
Sheldrake, Rupert: Das Gedächtnis der Natur. Das Geheimnis der Entstehung der Formen in der Natur.- Bern, 2000, Scherz Verlag. Originalausgabe: The Presence of the Past.- 1988
Sparrer, Insa/ Varga von Kibèd, Matthias: Ganz im Gegenteil. Tetralemmaarbeit und andere Grundformen Systemischer Strukturaufstellungen - für Querdenker und solche, die es werden wollen.- Heidelberg, 20002, Carl-Auer Verlag
Thalhamer, August: Sind Schamanismus, christliche Mystik und westliche Psychotherapie kompatibel? Übereinstimmungen und Unterschiede aufgezeigt an konkreten Beispielen.- Linz, 1996, http://www.thalhamer-haase.at/texte.htm
Thalhamer, August: Sein oder Nicht Sein. Die Toten in der Familienaufstellung vs. beim schamanischen Heilritual.- Linz, 2000, http://www.thalhamer-haase.at/texte.htm
Von Foerster, Heinz: Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners. Gespräche für Skeptiker.- Heidelberg, 2001, Carl-Auer Verlag
Von Ditfurth, Hoimar: Das Erbe des Neandertalers. Weltbild zwischen Wissenschaft und Glaube.- München, 1994, DTV
Inzwischen zum selben Thema erschienen:
Van Kampenhout, Daan: Die Heilung kommt von außerhalb. Schamanismus und Familien-Stellen.- Heidelberg, 2001, Carl-Auer Verlag
August Thalhamer
Dieses Referat wurde gehalten bei der 3. Internationalen Arbeitstagung zu Systemaufstellungen "Konfliktfelder-Wissende Felder" in Würzburg, Mai 2001 und beim Symposion "Das weite Land der Aufstellungsarbeit" in Gmunden, Oktober 2001